Die Herren des Krieges
Wal?
Ganz nahe bei ihnen, hinter dem blauen Lager saß ein Mann, der ruhig an einem Holztisch schrieb. Er trug einen blauen Dreispitz mit einer weißen Kokarde, einen weiß-blauen Mantel mit goldenen Borten und Epauletten, und an seinem Gürtel hing ein riesiger Säbel, der bis auf den Boden reichte.
Corson kletterte über den Grat und ging auf diesen seltsamen Schreiber zu. Antonella folgte ihm. Als sie nur noch ein paar Schritte von dem Mann entfernt waren, wandte dieser den Kopf und sagte ohne irgendwelche Zeichen von Angst oder Überraschung: »Wollt ihr euch einschreiben, Leute? Wir haben gerade unsere Prämien erhöht, wißt ihr. Ich kann euch schon einen Vorschuß von fünf Kronen geben, bevor ihr überhaupt unsere prächtige Uniform angezogen habt.«
»Ich habe nicht …«, begann Corson.
»Ah, ich sage euch, ihr werdet unter dem guten König Viktor dienen. Wir nennen ihn ›Backenbart‹, wißt ihr. Die Bedingungen sind sehr gut, und ihr werdet schnell befördert. Der Krieg wird noch einige Jahrhunderte dauern, und ihr habt gute Aussichten, bis zum Marschall aufzusteigen. Die Lady kann sich dem Troß anschließen und unsere netten Jungens erfreuen. Ich kann ihr jetzt schon sagen, daß sie binnen kurzer Zeit ihr Glück machen wird.«
»Ich möchte nur eine Auskunft«, sagte Corson. »Wo ist die nächste Stadt?«
»Ich glaube, das ist Minor«, gab der Mann zur Antwort. »Sie liegt direkt vor uns, zwanzig oder dreißig Meilen entfernt. Wir werden diese Stadt erobern, sobald wir mit diesen roten Hanswursten fertig sind. Ich gebe zu, ich war noch niemals dort, aber das ist nicht zu verwundern, da sie in der Hand der Feinde ist. Kommt her, ihr braucht nur hier zu unterschreiben – falls ihr schreiben könnt –, und dann ist alles geregelt.«
Bei diesen Worten klingelte er mit einigen gelben Metallscheiben, die in Corson eine vage Erinnerung wachriefen. Er schätzte, daß es sich um Münzen handelte.
Vor dem Mann lagen zwei seltsame Handfeuerwaffen auf dem Tisch, auf jeder Seite seines Hauptbuchs eine. Corson hätte sie sich gerne näher angeschaut, aber Antonella drückte seinen Arm und begann zu zittern.
»Was ist mit diesen Schiffen?« fragte er und zeigte auf die See.
»Die, mein Freund, haben mit uns nichts zu tun. Jeder führt hier seinen eigenen Krieg, ohne sich um die anderen zu kümmern. Das heißt, solange man den augenblicklichen Gegner noch nicht besiegt hat. In diesem Fall nimmt man die Besiegten in seine Armee auf und sucht sich einen neuen Gegner. Ihr sucht auch gerade einen Feind, nicht wahr? Ich habe jedenfalls noch nie solche Uniformen gesehen.«
»Wir wollen uns auf keinen Fall einschreiben«, sagte Corson fest. »Wir wollen nur … hm … irgendwo Arbeit finden.«
»Dann muß ich euch überzeugen, meine Freunde«, meinte der Mann. »Das ist mein Beruf.«
Er griff nach seinen Waffen und zielte auf Corson.
»Bitte seid nun so freundlich und unterschreibt, bevor ich ärgerlich werde und mein großzügiges Angebot zurückziehe.«
Corson stieß Antonella zu Boden und sprang mit einem Satz zu dem Tisch, den er umwarf. Aber sein Gegner war auf den Angriff gefaßt. Er wich aus und betätigte den Abzug seiner Waffen. Corson hörte einen ohrenbetäubenden Knall und spürte gleichzeitig einen heftigen Schlag am linken Arm.
Er stürzte sich nach vorn in den Rauch. Der Mann mit dem Dreispitz hatte die Waffen weggeworfen und zog nun wütend seinen Säbel. Aber diesmal war Corson schneller. Er sprang über den umgestürzten Tisch, schlug dem Mann in den Bauch und dann gegen die Schläfe.
Der Blaurock fiel um und hielt seinen Bauch mit beiden Händen.
Corson tastete seinen linken Arm ab und erwartete, daß er blutete. Aber sein Raumanzug hatte die Kugel abprallen lassen. Er war mit einer Quetschung davongekommen. Die Schüsse hatten Aufmerksamkeit erregt. Vom Lager näherte sich eine kleine Gruppe von Männern.
Corson riß Antonella auf die Füße, nahm den Säbel und begann zu rennen. Der einzige Fluchtweg führte zu der Senke, in der Corson den toten Wal vermutete. Kugeln pfiffen ihnen um die Ohren. Mit Erstaunen bemerkte Corson, daß die Gewehre weder eine Ziel- noch eine Ladeautomatik besaßen. Die Verfolger mußten nach jedem Schuß umständlich nachladen.
Keuchend erreichten sie die Senke und liefen den Abhang hinunter. Sie sahen, daß es sich um einen erloschenen Krater handelte, der tiefer und größer war, als sie vermutet hatten. Der »Wal« war ein riesiger Ballon aus gummiertem
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