Die Herren des Nordens
Ragnars Vater aufgezogen, hier hatte ich zu kämpfen gelernt,
hier war ich geliebt worden, hier war ich glücklich gewesen, und hier hatte ich Kjartan Ragnars Palas niederbrennen und alle
seine Bewohner umbringen sehen. Und nun kam ich zum ersten Mal seit jener unheilvollen Nacht wieder hierher.
Ragnars Männer lebten in der Siedlung und in den nahe gelegenen Hügeln. Doch der erste Mensch, den ich sah, war Ethne, die
schottische Sklavin, die wir in Gyruum befreit hatten. Sie trug zwei Wasserkübel und erkannte mich erst, als ich ihren Namen
rief. Da ließ sie die Kübel fallen und rannte mit lauten Rufen zu den Häusern, und dann |329| trat Finan unter einem niedrigen Türsturz heraus. Er jubelte vor Freude, und noch mehr Leute tauchten auf, und mit einem Mal
brach die ganze Menge in Jubel aus, weil Ragnar zu seinen Leuten zurückgekommen war.
Finan konnte nicht abwarten, bis ich abgestiegen war. Grinsend lief er neben meinem Pferd her. «Willst du wissen, wie Sverri
gestorben ist?», fragte er.
«Langsam?», riet ich.
«Und laut.» Er grinste wieder. «Und wir haben sein Geld.»
«Viel?»
«Mehr, als du dir vorstellen kannst!», rief er überschwänglich. «Und sein Haus haben wir auch niedergebrannt. Seine Frau und
seine Kinder haben nur noch gejammert.»
«Ihr habt sie am Leben gelassen?»
Er war verlegen. «Sie haben Ethne leidgetan. Aber das Vergnügen, ihn umzubringen, war ohnehin nicht mehr zu übertreffen.»
Erneut verzog ein Grinsen sein Gesicht. «Und? Ziehen wir in den Krieg?»
«Wir ziehen in den Krieg.»
«Wir müssen diesen Bastard von Guthred erledigen, was?», sagte Finan.
«Das würdest du gerne machen?»
«Er hat uns einen Priester mit der Anordnung geschickt, wir müssten Geld an die Kirche bezahlen! Den haben wir gleich wieder
weggejagt.»
«Ich dachte, du bist ein Christ», sagte ich.
«Bin ich auch», verteidigte sich Finan, «aber ich will trotzdem verdammt sein, bevor ich einem Priester den zehnten Teil meines
Geldes gebe.»
Die Männer von Synningthwait erwarteten, dass sie für die Sache Ivarrs in den Kampf ziehen sollten. Sie waren Dänen, und sie
betrachteten den bevorstehenden Krieg als |330| eine Auseinandersetzung zwischen Dänen und ehrgeizigen Sachsen. Doch viel Begeisterung war nicht zu spüren, denn Ivarr wurde
nicht gemocht. Der Bote mit Ivarrs Sammlungsbefehl war vor fünf Tagen in Synningthwait eingetroffen, und Rollo, der die Männer
in Ragnars Abwesenheit führte, hatte den Abzug absichtlich verzögert. Jetzt lag die Entscheidung bei Ragnar, und an diesem
Abend, an dem vor seinem Palas ein großes Feuer brannte, bat er seine Männer um ihre Meinung. Er hätte ihnen befehlen können,
was immer er wollte, aber er hatte die meisten von ihnen drei Jahre lang nicht gesehen, und er wollte wissen, welche Stimmung
unter seinen Leuten herrschte. «Ich lasse sie reden», erklärte er mir, «und danach sage ich ihnen, was wir tun werden.»
«Und was werden wir tun?», fragte ich.
Ragnar grinste. «Das weiß ich noch nicht.»
Rollo sprach als Erster. Er hatte nichts gegen Guthred, sagte er, aber er fragte sich, ob es keinen besseren König für Northumbrien
gäbe. «Ein Land braucht einen König», sagte er, «und dieser König sollte redlich und gerecht sein und großzügig und stark.
Guthred ist weder gerecht noch ist er stark. Er bevorzugt die Christen.» Beifälliges Murmeln erklang aus der Menge.
Beocca, der neben mir saß, verstand genug von dem, was gesagt wurde, um wütend zu werden. «Alfred unterstützt Guthred!», zischte
er mir zu.
«Seid still», ermahnte ich ihn.
«Guthred», fuhr Rollo fort, «verlangt, dass wir Steuern an die christlichen Priester zahlen.»
«Habt ihr es getan?», fragte Ragnar.
«Nein.»
«Wenn Guthred nicht der König ist», sagte Ragnar, «wer soll es sonst sein?» Niemand äußerte sich. «Ivarr?», |331| schlug Ragnar vor, und ein Schaudern lief durch die Menge. Niemand mochte Ivarr, und niemand außer Beocca tat den Mund auf,
und auch er bekam nur ein Wort heraus, bevor ich seinen Widerspruch mit einem kräftigen Stoß in seine knochigen Rippen beendete.
«Was ist mit Graf Ulf?», fragte Ragnar.
«Der ist inzwischen zu alt dafür», antwortete Rollo. «Außerdem ist er nach Cair Ligualid zurückgegangen, und dort will er
auch bleiben.»
«Gibt es einen Sachsen, der uns Dänen in Frieden lassen würde?», erkundigte sich Ragnar, doch erneut sagte niemand etwas.
«Ein anderer Däne
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