Die Herren des Nordens
gesagt, aber ich habe es vergessen.»
«Jehova.»
«Also sind es Odin, Thor und Jehova. Hat er eine Frau?»
«Nein.»
«Armer Jehova.»
Armer Jehova, dachte ich, und ich dachte es immer noch, als wir unter heftigem Dauerregen, der auf die steinernen Überbleibsel
der Römerstraße niederpeitschte und die Felder in Schlammpfühle verwandelte, den Swale überquerten, um nach Norden zu einer
uneinnehmbaren Festung zu reiten. Wir ritten zur Eroberung Dunholms.
|378| NEUN
Es schien so einfach, als ich es vorschlug. Wir sollten nach Dunholm reiten, einen Überraschungsangriff machen und auf diese
Weise Guthred einen sicheren Rückzugsort verschaffen und Ragnar eine Gelegenheit, Rache zu nehmen. Doch Hrothweard war entschlossen,
unseren Plan zu hintertreiben, und bevor wir losreiten konnten, brachte er einen weiteren schwergewichtigen Einwand vor. «Was
ist», wollte Hrothweard von Guthred wissen, «mit unserem gesegneten Heiligen? Wenn Ihr wegreitet, wer wird dann Cuthbert beschützen?»
Hrothweard besaß wahre Leidenschaft. Ich ließ mich mehr von Wut antreiben, vermute ich. Männer wie er sind mir im Leben so
manches Mal begegnet, Männer, die sich über die kleinste Beleidigung der einen Sache, die ihnen wichtig war, in unglaubliche
Raserei steigern konnten. Für Hrothweard war diese eine Sache die Kirche, und er hielt jeden, der nicht an Christus glaubte,
für einen Feind seiner Kirche. Er war zu Guthreds wichtigstem Berater geworden, und es war seine Leidenschaft, die ihm diesen
Aufstieg ermöglicht hatte. Guthred betrachtete das Christentum immer noch als eine Art überlegener Zauberkunst, und er glaubte,
in Hrothweard einen Mann gefunden zu haben, der diesen Zauber beherrschte. Wie ein Zauberer sah Hrothweard allerdings zweifellos
aus, mit seiner verfilzten Mähne, seinem spitzen Bart und seinen flink umherhuschenden Augen. Außerdem konnte er sich der
lautesten Stimme rühmen, die ich jemals von einem Menschen vernommen habe. Er war nicht verheiratet, sondern hatte sich |379| vollkommen seiner geliebten Religion geweiht, und es gab viele, die in ihm den Nachfolger Wulfheres als Erzbischof von Eoferwic
sahen.
Guthred dagegen besaß keine Leidenschaft. Er war vernünftig, zumeist sehr liebenswürdig, weil er die Menschen um sich herum
glücklich sehen wollte, und er ließ sich von Hrothweard nötigen. Die meisten Bewohner Eoferwics waren Christen, und Hrothweard
war ohne weiteres imstande, den Pöbel auf die Straße zu rufen. Und weil Guthred einen Aufruhr in der Stadt fürchtete, hatte
er sich Hrothweard gebeugt. Noch dazu setzte Hrothweard das Missfallen des Heiligen Cuthbert ein, um Guthred zu drohen, und
mit genau dieser Waffe versuchte er auch, unseren Aufbruch nach Dunholm zu verhindern. Wir hatten nur eine einzige Möglichkeit,
die Festung einzunehmen, und zwar, indem wir überraschend kamen. Das hieß, dass wir schnell sein mussten und daher auch, dass
wir Cuthberts Leichnam und Oswalds Kopf und das wertvolle Evangeliar mitsamt allen Priestern, Mönchen und Frauen in Cetreht
zurücklassen mussten. Pater Hrothweard beharrte jedoch darauf, dass es unsere erste Pflicht sei, Sankt Cuthbert zu beschützen.
«Wenn unser Heiliger den Heiden in die Hände fällt», schrie er Guthred an, «dann wird er entweiht werden!» Da hatte er natürlich
recht. Der Heilige Cuthbert würde seines Brustkreuzes und seines edlen Ringes beraubt und anschließend an die Schweine verfüttert
werden, während von dem wertvollen Evangeliar aus Lindisfarena die juwelenbesetzten Deckel abgerissen und die Seiten zum Feuermachen
oder zum Abwischen dänischer Hintern benutzt werden würden. «Eure erste Pflicht ist es, den Heiligen zu beschützen», donnerte
Hrothweard.
«Unsere erste Pflicht ist es», gab ich zurück, «den König in seinem Amt zu bewahren.»
|380| Die Priester, das versteht sich von selbst, unterstützten Hrothweard, und kaum hatte ich mich geäußert, da wandte er seine
Leidenschaft gegen mich. Ich war ein Mörder, ein Heide, ein Ketzer, ein Sünder, ein Verführer, und alles, was Guthred tun
musste, um seinen Thron zu bewahren, war, mich der Gerechtigkeit auszuliefern. Beocca bemühte sich als Einziger unter den
Kirchenleuten darum, den tobenden Priester zu beruhigen, doch Beocca wurde niedergeschrien. Priester und Mönche erklärten,
dass Guthred den Fluch Gottes auf sich ziehen würde, wenn er Cuthbert im Stich ließe. Guthred stand vollkommen ratlos
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