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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Thyra kaum erwähnt. Es war, als fühlte er sich
     schuldig, weil er sie so lange in Kjartans Gewalt gelassen hatte. Ich wusste, dass er nach ihrem Verschwinden versucht hatte,
     sie wiederzufinden, er hatte sogar in Kauf genommen, für ein Gespräch einen Waffenstillstand mit Kjartan zu schließen. Aber
     Kjartan hatte mit aller Heftigkeit bestritten, dass Thyra überhaupt in Dunholm war, und danach war Ragnar mit dem Großen Heer
     gezogen, um in Wessex einzumarschieren, und dann war er zur Geisel geworden, und in all dieser Zeit war Thyra in Kjartans
     Gewalt gewesen. Nun sah Ragnar Sihtric an. «Sie hat für sie gesungen?», fragte er erneut.
    «Sie hat für sie gesungen, Herr», bestätigte Sihtric, «und sie haben sich einfach hingelegt. Mein Vater war wütend.» Ragnar
     runzelte die Stirn, als ob er nicht glauben könne, was er da gehört hatte. Sihtric zuckte nur mit den Schultern. «Sie sagen,
     sie ist eine Zauberin, Herr», erklärte er demütig.
    «Thyra ist keine Zauberin», entgegnete Ragnar zornig. «Alles was sie wollte, war heiraten und Kinder bekommen.»
    |391| «Aber sie hat für die Hunde gesungen, Herr», beharrte Sihtric, «und sie haben sich hingelegt.»
    «Wenn sie uns sehen, werden sie sich aber nicht einfach hinlegen», sagte ich. «Kjartan wird sie auf uns hetzen, sobald er
     uns entdeckt hat.»
    «Das wird er, Herr», sagte Sihtric und seine Unruhe war unübersehbar.
    «Also müssen wir einfach für sie singen», erklärte ich heiter.
    Wir folgten einem durchweichten Pfad neben einem überschwemmten Graben bis zum Wiire, der wild schäumend dahinschoss. Die
     Furt war offensichtlich nicht mehr zu durchqueren. Der Regen wurde dichter, er trommelte auf den Fluss, der zischend über
     seine steilen Uferböschungen leckte. Auf der anderen Uferseite lag ein Hügel, und die Wolken hingen niedrig genug, um die
     schwarzen, kahlen Äste der Bäume zu berühren, die auf seiner langgestreckten Kuppe standen. «Hier kommen wir niemals hinüber»,
     sagte Ragnar. Pater Beocca, der in seiner triefenden Mönchskutte immer noch an seinem Sattelgurt festgebunden war, zitterte
     am ganzen Leib. Unsere Reiter trabten an dem schlammigen Ufer auf und ab, die Augen auf den Fluss gerichtet, der aus seinem
     Bett zu treten drohte, doch dann gab Steapa, der auf einem riesigen, schwarzen Hengst saß, ein Knurren von sich und ritt einfach
     den Pfad hinunter ins Wasser. Sein Pferd sträubte sich vor der reißenden Strömung des Flusses, doch er trieb es weiter, bis
     das Wasser um seine Steigbügel strudelte, und dann blieb er stehen und gab mir ein Zeichen, dass ich ihm folgen sollte.
    Er hatte vor, mit den größten Pferden die starke Strömung zu brechen. Ich lenkte mein Pferd neben Steapas, dann kamen weitere
     Reiter, wir stellten uns dicht an dicht und bauten so eine Mauer aus Pferdefleisch auf, die sich |392| über den Wiire hinzog, der an dieser Stelle dreißig oder vierzig Schritte breit war. Unser Damm musste nur auf dem mittleren
     Stück stehen, wo die Strömung am stärksten war, und als wir schließlich mit hundert Reitern im Fluss standen, die sich mühten,
     ihre Pferde ruhig zu halten, führte Ragnar die anderen eilig durch das ruhigere Wasser, das hinter unserer notdürftigen Mauer
     lag. Beocca, dem Armen, stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, doch Gisela nahm die Zügel seines Pferdes und trieb ihre
     eigene Stute ins Wasser. Ich wagte kaum hinzusehen. Wenn ihr Pferd den Stand verlor, würde sie von ihrem Kettenhemd unter
     Wasser gezogen werden, aber dann erreichten Gisela und Beocca wohlbehalten das andere Ufer, und jeweils zu zweit folgten die
     anderen. Eine Frau und ein Krieger wurden von der Strömung mitgerissen, doch beide strampelten sich über den Fluss, und ihre
     Pferde fanden etwas flussab wieder Grund und erreichten die Böschung. Nachdem die kleineren Pferde die Furt überquert hatten,
     lösten wir nach und nach unseren Damm auf und bewegten uns vorsichtig durch die reißenden Wasser in Sicherheit.
    Mittlerweile begann es dunkel zu werden. Es war noch Nachmittag, doch die schwarzen Wolken hingen tief am Himmel. Es war ein
     düsterer, nasser, elender Tag, und nun mussten wir unter tropfenden Bäumen den Steilhang hinauf. An einer Stelle war das Gefälle
     so stark, dass wir absteigen und die Pferde am Zügel führen mussten. Als wir die Kuppe erreicht hatten, zogen wir nordwärts
     weiter, und wenn es eine Lücke zwischen den niedrigen Wolken gab, konnte ich vor mir

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