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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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zusammen, und Finan hielt das eine Ende, während ich den Hügel hinaufkroch. Ich tastete mich zwischen den Bäumen
     hindurch, rutschte im Schlamm aus und verwechselte immer wieder Baumstämme mit dem Palisadenwall des Brunnens. Das Seil verfing
     sich in abgebrochenen Zweigen, und zweimal musste ich umkehren, mich jeden Schritt wieder zurücktasten und erneut mit der
     Suche beginnen. Ich wollte schon verzweifeln, als ich erneut stolperte und meine linke Hand dabei einen flechtenüberwachsenen
     Holzstamm hinunterglitt. Ein Splitter fuhr in meine Handfläche. Ich stürzte schwer gegen den Stamm und entdeckte, dass es
     kein abgebrochener Ast war, sondern dass ich die Palisade gefunden hatte, die den Brunnen umgab. Ich zerrte an dem Seil, und
     die anderen kletterten mir nach.
    Erneut warteten wir. Der Donner wanderte weiter nach Norden, und der Regen mäßigte sich zu einem stetigen, dichten Fall. Zitternd
     hockten wir zusammen und warteten auf das erste graue Schimmern der Dämmerung, und ich war besorgt, denn Kjartan musste bei
     diesem Regen vielleicht niemanden zum Brunnen schicken, weil sich in den Regenfässern der Festung genügend Wasser gesammelt
     hatte. Trotzdem wird überall, ich vermute sogar überall auf der ganzen Welt, in der Morgendämmerung das Wasser geholt. Auf
     diese Art begrüßen wir den Tag. Wir brauchen Wasser zum Kochen und zum Bartscheren und zum Waschen |406| und Bierbrauen, und in vielen Stunden, die ich mit schmerzenden Muskeln an Sverris Ruder lag, hatte ich an Sihtrics Bericht
     davon gedacht, dass Dunholms Brunnen außerhalb des Festungswalls lagen, was bedeutete, dass Kjartan jeden Morgen ein Tor öffnen
     musste. Und wenn er ein Tor öffnete, dann konnten wir in die uneinnehmbare Festung eindringen. Das war mein Plan. Einen anderen
     hatte ich nicht, und wenn er scheiterte, wären wir alle tot. «Wie viele Frauen holen das Wasser?», fragte ich Sihtric mit
     gedämpfter Stimme.
    «Ungefähr zehn, Herr.»
    Ich spähte um die Palisade herum. Von hier aus konnte ich gerade noch den Widerschein des Feuers über dem Festungswall sehen,
     und ich schätzte, dass der Brunnen zwanzig Schritte von der Festung entfernt lag. Das war nicht weit, doch es bedeutete zwanzig
     Schritte steilen Anstieg. «Sind dort Wachen am Tor?», fragte ich und kannte die Antwort schon, denn ich hatte diese Frage
     schon früher gestellt, aber in der Dunkelheit und mit dem Kampf vor Augen hatte das Sprechen eine beruhigende Wirkung.
    «Als ich dort war, Herr, standen dort nur zwei oder drei Männer Wache.»
    Und diese Wachen würden müde sein, dachte ich, sie würden nach dieser Nacht ohne Schlaf immer nur gähnen. Sie würden das Tor
     öffnen, den Frauen zusehen, die hindurchgingen, und dabei am Festungswall lehnen und von anderen Frauen träumen. Doch es brauchte
     nur eine der Wachen aufmerksam zu sein, selbst wenn die anderen Torwachen träumten, reichte ein aufmerksamer Wächter auf dem
     Festungswall, um unseren Plan zu vereiteln. Ich wusste, dass der Wall hier auf der Ostseite keinen Umgang hatte, auf dem gekämpft
     werden konnte, doch es gab kleinere Vorsprünge, auf denen ein Mann stehen und die |407| Umgebung beobachten konnte. So machte ich mir meine Gedanken, stellte mir vor, wie sich alles zum Schlechten wenden konnte,
     und neben mir schnarchte Clapa in einem Moment des Schlafs, und es erstaunte mich, dass er überhaupt schlafen konnte, so durchnässt
     wie er war und bei dieser Kälte, und dann schnarchte er noch einmal, und ich schubste ihn, damit er aufwachte.
    Die Morgendämmerung schien niemals kommen zu wollen, und wenn sie käme, dann wären wir bestimmt so durchfroren und unsere
     Glieder so steif durch die Feuchtigkeit, dass wir uns nicht würden bewegen können. Dann endlich zeigte sich über den Gipfeln
     auf der anderen Seite des Flusses ein grauer Streif in der Dunkelheit. Er vergrößerte sich wie ein nasser Fleck. Wir rückten
     näher zusammen, sodass uns die Brunnenpalisade vor dem Blick jedes Wachpostens auf dem Festungswall verbarg. Das Grau wurde
     heller, und in der Festung krähten die Hähne. Immer noch fiel dichter Regen. Unter mir erkannte ich weiße Gischt, wo der Fluss
     über Felsen rauschte. Im Halbdunkel waren nun auch die Bäume unter uns erkennbar. Ein Dachs schlich in zehn Schritten Entfernung
     an uns vorbei, dann drehte er sich um und sprang mit plumpen Bewegungen den Abhang hinunter. Ein roter Hauch wurde an einer
     schmalen Wolkenbank im Osten sichtbar,

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