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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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brodelnden Wasser zu stürzen.
    Dann stieß mein Tastspeer an Stein, und mir wurde klar, dass wir den riesigen Felsblock erreicht hatten, der im Dunkeln wie
     eine ungeheure Klippe aufragte. Weil ich geglaubt hatte, einen Pfad gesehen zu haben, der an der Flussseite an ihm vorbeiführte,
     schob ich mich langsam dorthin vor, tastete immer mit dem Speer, bevor ich einen Schritt tat, doch wenn ich in dem Zwielicht
     wirklich einen Pfad gesehen hatte, dann fand ich ihn jetzt nicht mehr. Der Felsen schien nur steil aus dem Fluss herauszuragen
     und sich über das Wasser zu neigen, und so blieb uns nichts übrig, als dicht neben dem Felsblock den Hang wieder hinaufzusteigen
     und dann seine gewölbte Kuppe zu überqueren. Also bewegten wir uns Schritt für Schritt nach oben, klammerten uns an Baumschösslingen
     fest und traten Vertiefungen in die regendurchtränkte Erde, und jeder Fußbreit brachte uns näher an den Festungswall. Die
     Lederzügel, mit denen wir uns aneinandergebunden hatten, verfingen sich wieder und wieder in Zweigen und Baumstümpfen, und
     es schien unendlich lange zu dauern, bis wir eine Stelle erreicht hatten, an der wieder der glimmende Widerschein des Feuers
     hinter der Palisade |401| die Flanke des Felsblocks beleuchtete, die uns zur Kuppe führte.
    Diese Kuppe bestand aus einer Fläche nackten Steins, die wie ein flaches Dach geformt und etwa fünfzehn Schritte breit war.
     Das westliche Ende stieg gegen die Festung hin an, während die östliche Seite in einem glatten Abbruch zum Fluss hin endete,
     und all das sah ich im flackernden Licht ferner Blitze, die im Norden über den Himmel zuckten. Wir würden die Felsenkuppe
     in der Mitte überqueren müssen. Sie lag nicht mehr als zwanzig Schritte von Kjartans Festungswall entfernt, und dort stand
     ein Wächter, dessen Speerspitze unter den Blitzen aufschien wie ein weißer Feuerfunke. Wir kauerten uns neben dem Felsen zusammen,
     und ich ließ alle die Zügel von den Gürteln lösen. Wir würden sie zu einem einzigen Seil zusammenbinden, und ich würde als
     Erster über die Kuppe kriechen und das Seil hinter mir herziehen, und diesem Seil mussten alle anderen folgen. «Immer nur
     einer», sagte ich, «und wartet, bis ich an dem Seil ziehe. Ich ziehe drei Mal. Das ist das Zeichen für den nächsten Mann,
     hinüberzuklettern.» Ich musste fast schreien, um mich über den hämmernden Regen und den böigen Wind verständlich zu machen.
     «Kriecht auf dem Bauch», sagte ich ihnen. Falls es blitzte, wäre ein liegender Mann unter einem schlammverdreckten Umhang
     viel schwerer zu erkennen als ein kauernder Krieger. «Rypere geht als Letzter», sagte ich, «und er bringt das Seil mit.»
    Es schien mir so, als bräuchten wir die halbe Nacht, nur um diese kurze Strecke nackten Felsens zu überqueren. Ich kroch blind
     durch die Finsternis und musste mit dem Speer eine Stelle ertasten, an der ich mich auf der anderen Seite des Felsens hinabrutschen
     lassen konnte. Dann zog ich an dem Seil, und nach einer unerträglich langen Zeit hörte ich |402| einen Mann über den Felsblock kriechen. Es war einer von Ragnars Dänen, der sich an dem Seil entlangschob und dann neben mich
     glitt. Dann kamen einer nach dem anderen die Übrigen. Ich zählte mit. Wir halfen jedem den Felsen hinunter, und ich betete,
     dass es nicht blitzen sollte, aber dann, gerade als Steapa mitten auf der Felskuppe lag, tauchte eine knisternde, blauweiße
     Lichtgabel die Kuppe in blendende Helligkeit und beleuchtete uns wie erstarrte Würmer in einer Feuerfalle der Götter. In diesem
     Augenblick der Helligkeit sah ich Steapa zittern, und dann brüllte der Donner über uns hinweg, und der Regen schien noch ärger
     zu werden. «Steapa!», rief ich. «Los komm!» Aber Steapa war so erschrocken, dass er sich nicht mehr bewegen konnte, und ich
     musste mich zurück auf die Felskuppe winden, seine Hand nehmen und ihn zu jeder Bewegung überreden, und während ich das tat,
     vergaß ich, wie viele Männer schon über den Felsen gekommen waren, sodass ich, als ich dachte, der Letzte sei da, feststellte,
     dass Rypere noch auf der anderen Seite war. Er schob sich schnell zu uns herüber und wickelte dabei das Seil auf. Dann knoteten
     wir die Zügel wieder auseinander und verknüpften uns erneut damit an den Gürteln. Wir alle froren, und wir waren völlig durchnässt,
     doch das Schicksal war auf unserer Seite gewesen, und es hatte keinen Warnruf vom Festungswall gegeben.
    Halb

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