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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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und mit einem Mal war es Tag, wenn es auch ein trüber Tag mit silbrigen Regenfäden
     war. Ragnar baute jetzt wohl seinen Schildwall auf und ließ Männer auf dem Pfad Stellung beziehen, um die Aufmerksamkeit der
     Festungsmannschaft auf sich zu lenken. Wenn die Frauen Wasser holen würden, dachte ich, dann müssten sie bald kommen. Ich
     bewegte mich ein Stück den Abhang hinunter, damit ich alle meine Männer im Blick hatte. «Wenn wir gehen», zischte ich, «dann
     müssen wir schnell sein! Hoch zum |408| Tor und die Wachen töten, und dann bleibt ihr nahe bei mir. Wenn wir es aber erst einmal in die Festung geschafft haben, bewegen
     wir uns langsam weiter. Wir gehen einfach durch die Festung. Wir tun so, als ob wir zu Kjartans Leuten gehören.»
    Wir konnten uns zu zwölft keine Hoffnung machen, sämtliche Männer Kjartans zu überwältigen. Wenn wir gewinnen wollten, mussten
     wir uns in die Festung einschleichen. Sihtric hatte mir erzählt, dass hinter dem Brunnentor ein Wirrwarr von Gebäuden stand.
     Wenn es uns gelang, die Wachen schnell zu töten und uns niemand dabei beobachtete, dann konnten wir uns vermutlich zwischen
     den Gebäuden verstecken, und wenn wir sicher wären, dass wir nicht aufgefallen waren, konnten wir einfach zum nördlichen Tor
     gehen. Wir trugen alle Kettenhemden oder Lederharnisch und Helme, und wenn die Festungsmannschaft beobachtete, wie Ragnar
     anrückte, würden wir möglicherweise gar nicht bemerkt werden, und wenn doch, dann würden sie glauben, wir gehörten zu den
     Verteidigern. Wenn wir erst einmal den Festungswall erreicht hätten, wollte ich einen Abschnitt des Umgangs besetzen. Wir
     würden die Männer töten, die dort eingesetzt waren, und dann konnte Ragnar mit seinen Leuten zu uns stoßen. Seine gewandteren
     Männer würden die Palisade ersteigen, indem sie Äxte in die Holzstämme schlugen und als Trittstufen benutzten, und Rypere
     würde ihnen mit unserem Lederseil von oben helfen. Mit dieser Verstärkung würden wir uns den Festungswall entlang bis zu dem
     großen Tor durchkämpfen und es Ragnars übrigen Männern öffnen.
    Das alles hatte nach einem guten Einfall geklungen, als ich es Ragnar und Guthred erklärt hatte, doch in dieser klammen Morgendämmerung
     wirkte es nur wie ein verzweifelter, |409| zum Scheitern verurteilter Plan, und mit einem Mal erfüllte mich tiefste Hoffnungslosigkeit. Ich berührte mein Hammeramulett.
     «Betet zu euren Göttern», sagte ich, «betet darum, dass uns niemand sieht. Betet darum, dass wir den Wall erreichen.» Ich
     hatte das Falsche gesagt. Ich hätte zuversichtlich klingen sollen, doch stattdessen hatte ich meine Ängste verraten, und dies
     war auch nicht der Moment, um zu den Göttern zu beten. Sie hatten unser Schicksal ohnehin in der Hand, und sie würden uns
     helfen oder uns scheitern lassen, ganz wie unser Tun ihnen gefiel. Ich erinnerte mich an Ravn, Ragnars blinden Großvater,
     der mir erklärt hatte, dass die Götter Tapferkeit mögen und Tollkühnheit lieben, Feigheit aber hassen und zweiflerisches Schwanken
     verabscheuen. «Wir sind hier, um sie zu unterhalten», hatte Ravn gesagt, «das ist alles. Und wenn wir es gut machen, dann
     feiern wir mit ihnen, bis ans Ende der Zeiten.» Ravn war ein Krieger gewesen, bevor er sein Augenlicht verlor, und danach
     wurde er ein Skalde, er machte Gedichte, und in seinen Gedichten rühmte er den Kampf und die Tapferkeit. Und wenn uns dies
     hier gelang, dachte ich, dann hätte ein ganzes Dutzend Skalden Beschäftigung.
    Dann war von der Festung her eine Stimme zu hören, und ich hielt eine Hand hoch, damit niemand von uns mehr ein Geräusch von
     sich gab. Wenig später waren Frauenstimmen zu unterscheiden, und ein Holzeimer schlug dumpf gegen einen Balken. Die Stimmen
     kamen näher. Eine der Frauen jammerte, aber die Worte waren nicht zu verstehen, dann antwortete eine andere Frau, die schon
     viel besser zu hören war. «Sie werden es nie in die Festung schaffen, ganz einfach. Sie schaffen es nicht.» Sie sprachen englisch,
     also waren sie entweder Sklavinnen oder Frauen von Kjartans Kriegern. Ich hörte ein Platschen, als |410| der Kübel in den Brunnen fiel. Immer noch hielt ich meine Hand erhoben, damit meine elf Männer daran dachten, keinen Laut
     von sich zu geben. Es würde dauern, bis alle Kübel mit Wasser gefüllt waren, und je länger es dauerte, desto besser, denn
     dann würden die Wachen anfangen, sich zu langweilen. Ich ließ meinen Blick über

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