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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Fluss, und die Kette in meiner Hand störte mich, und ich bereitete mich darauf vor, mich rücklings ins Todesdunkel
     des Wassers zu stürzen, als Sven selbst einen Schritt von mir weg tat. Dann trat er noch weiter zurück, wandte sich um und
     rannte zu seinem Pferd. In seinem Gesicht hatte Angst gestanden, und ich ging das Wagnis ein, mich nach dem umzudrehen, was
     ihn erschreckt hatte.
    Und da kam vom Meer, vorangetrieben von seinen Zwillingsrudern und der schnell steigenden Flut, das rote Schiff.

|251| SECHS
    Das rote Schiff war schon nahe, und es war schnell. Seinen Bug schmückte ein Drachenkopf mit schwarzen Zähnen, und dahinter
     standen bewaffnete Männer mit Kettenhemden und Helmen. Sie rauschten wie im Lärm eines Sturmes heran, die Ruder ließen das
     Wasser aufspritzen, mit lärmenden Rufen verständigten sich die Krieger, und siedende Wasserstrudel kreisten um den breiten,
     roten Bug. Ich taumelte zur Seite, um dem Schiff auszuweichen, denn es verlangsamte seine Fahrt nicht, als es sich dem Ufer
     näherte, sondern behielt seine volle Geschwindigkeit bei, und dann kam der letzte Ruderschlag, und der Bug schrammte über
     das Ufer, und der Drachenkopf bäumte sich auf, und der mächtige Kiel schob sich in einem Hagel umherfliegender Kiesel krachend
     auf den Strand. Der dunkle Schiffsrumpf hing drohend über mir, und dann traf mich ein Ruderschaft in den Rücken und schleuderte
     mich unter Wasser, und als ich strampelnd wieder auf die Füße kam, sah ich, dass das Schiff zitternd zur Ruhe gekommen war
     und ein Dutzend Männer in Kettenhemden mit Speeren, Schwertern, Äxten und Schilden vom Bug sprang. Die Ersten von ihnen, die
     an den Strand kamen, brüllten schon herausfordernd, während die Mannschaft noch ihre Ruder fallen ließ, sich bewaffnete und
     ihnen folgte. Das war kein Händler, sondern ein Beuteschiff, und die Mannschaft war zum Töten hierhergekommen.
    Sven flüchtete. Eilig stieg er in seinen Sattel und stob über die Marsch davon, während seine sechs Männer viel |252| tapferer waren und den einbrechenden Kriegern entgegenritten. Doch die Tiere wurden schreiend mit den Äxten zu Fall gebracht
     und die Reiter am Strand abgeschlachtet. Ihr Blut floss in die niedrigen Wellen, in denen ich mit offenem Mund stand und kaum
     glauben konnte, was ich doch mit meinen eigenen Augen sah. Sverri lag auf den Knien und hatte die Hände weit ausgebreitet,
     um zu zeigen, dass er unbewaffnet war.
    Der Führer des roten Schiffes, prächtig anzusehen in seinem Helm, der von Adlerschwingen bekrönt war, führte seine Männer
     zu dem Weg durch die Marsch in Richtung der Klostergebäude. Er ließ ein halbes Dutzend Krieger am Ufer zurück, und einer von
     ihnen war von riesenhafter Gestalt, groß wie ein Baum und breit wie ein Fass, und er trug eine Kriegsaxt, von der das Blut
     troff. Er zog seinen Helm vom Kopf und grinste mich an. Er sagte etwas, doch ich verstand ihn nicht. Ich starrte ihn einfach
     nur ungläubig an, und sein Grinsen wurde noch breiter.
    Es war Steapa.
    Steapa Snotor. Steapa der Schlaue bedeutete das, und das war ein Scherz, denn er war nicht gerade der klügste Mann, den ich
     im Leben getroffen hatte. Doch er war ein großer Krieger, der einst mein geschworener Feind gewesen und seitdem mein Freund
     geworden war. Und jetzt grinste er mich vom Ufer aus an, und ich verstand nicht, weshalb ein westsächsischer Krieger auf einem
     Schiff der Nordmänner fuhr, und dann begann ich zu weinen. Ich weinte, weil ich frei war und weil Steapas breites, vernarbtes,
     finsteres Gesicht das Schönste war, was ich gesehen hatte, seit ich zuletzt an diesem Ufer war.
    Ich watete aus dem Fluss und umarmte ihn, und er klopfte mir unbeholfen auf die Schulter und konnte nicht mit dem Grinsen
     aufhören, weil er so glücklich war. «Das |253| haben sie mit dir gemacht?», sagte er und deutete auf meine Fußfesseln.
    «Ich trage sie seit über zwei Jahren», sagte ich.
    «Stell die Füße auseinander, Herr», sagte er.
    «Herr?» Sverri hatte von dem, was Steapa gesagt hatte, dieses eine sächsische Wort verstanden. Er erhob sich von den Knien
     und ging zögernd einen Schritt auf uns zu. «Hat er dich so genannt?», fragte er. «Herr?»
    Ich starrte Sverri einfach nur an, und da ging er wieder auf die Knie. «Wer bist du?», fragte er und fürchtete sich.
    «Soll ich ihn umbringen?», knurrte Steapa.
    «Noch nicht», sagte ich.
    «Ich habe dich am Leben erhalten», sagte Sverri, «ich habe dir

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