Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
Vom Netzwerk:
Wanderfalken waren von dort zurückgekehrt, wohin ihre Reise durch die Lüfte sie in
     den Sommermonaten auch immer führt, und die Eichenblätter färbten sich bronzebraun und hingen zitternd im Wind.
    Wir ritten nach Witanceaster, weil uns gesagt wurde, Alfred hielte dort Hof, doch als wir ankamen, war er auf eines seiner
     Güter geritten und wurde an diesem Tag nicht mehr zurückerwartet. Daher ließ ich Ragnar, während sich die Sonne langsam hinter
     dem Gerüst von Alfreds großem Kirchenbau senkte, im Gasthaus
Zwei Kraniche
zurück und machte mich auf den Weg zum nördlichen Stadtrand. Ich musste nach dem Weg fragen und wurde eine lange Gasse hinuntergeschickt,
     durch die sich schlammige Wagenspuren zogen. Zwei Schweine wühlten in dem Sträßchen, an dessen einer Seite die hohe Wehrpalisade
     der Stadt entlangführte, während sich auf der anderen Seite eine braune Holzwand mit einer niedrigen Tür befand, die durch
     ein Kreuz gekennzeichnet war. Ein paar Bettler hatten sich vor der Tür auf dem kotigen Schlamm niedergelassen. Sie waren in
     Lumpen gekleidet. Manchen fehlte ein Arm oder ein Bein, die meisten hatten Geschwüre auf der Haut, und eine blinde Frau hielt
     ein narbenentstelltes Kind im Arm. Als ich mich näherte, rückten sie ängstlich zur Seite.
    Ich klopfte und wartete. Gerade wollte ich erneut klopfen, als eine kleine Luke in der Tür aufglitt. Ich erklärte, was ich
     wollte, die Luke wurde zugeschoben, und ich wartete erneut. Das Kind mit den Narben weinte, und die blinde Frau hielt eine
     Bettlerschale auffordernd in meine Richtung. Eine Katze lief über die Mauerkrone, und eine Wolke Stare erhob sich und flog
     westwärts davon. Zwei Frauen, die sich riesige Bündel Feuerholz auf den Rücken |265| gebunden hatten, gingen vorbei, und hinter ihnen trieb ein Mann eine Kuh durch die Gasse. Ehrerbietig neigte er den Kopf vor
     mir, denn ich sah wieder aus wie ein Herr. Ich war in Leder gekleidet, und an meiner Seite hing ein Schwert, wenn es auch
     nicht Schlangenhauch war. Mein schwarzer Umhang wurde am Hals von einer schweren Fibel aus Silber und Bernstein zusammengehalten,
     die ich einem der Toten aus Sverris Mannschaft abgenommen hatte. Diese Fibel war mein einziger Schmuck, denn Armringe hatte
     ich nicht.
    Dann wurde die niedrige Tür entriegelt und an ihren Lederschlaufen nach innen aufgezogen. Eine kleine Frau winkte mich herein.
     Ich duckte mich unter dem Türrahmen hindurch, und sie schloss die Tür. Dann führte sie mich über ein Stück Wiese und ließ
     mir Zeit, den Kot aus der Gasse von meinen Stiefeln zu kratzen, bevor sie mich in eine Kirche brachte. Sie schob mich hinein
     und blieb erneut stehen, um sich vor den Altar zu knien. Sie murmelte ein Gebet, und dann bedeutete sie mir mit einer Geste,
     ich solle durch eine andere Tür in einen kahlen Raum mit Wänden aus Lehm und Flechtwerk gehen. Dort bildeten zwei Stühle die
     gesamte Einrichtung, und sie erklärte mir, ich könne mich auf einen von ihnen setzen. Darauf öffnete sie einen Fensterladen,
     sodass die letzten Sonnenstrahlen den Raum erhellten. Eine Maus raschelte in der Binsenspreu auf dem Boden, die Frau murmelte
     kopfschüttelnd etwas vor sich hin, und dann ließ sie mich allein.
    Wieder wartete ich. Auf dem Dach krächzte ein Rabe. Nicht weit entfernt hörte ich das gleichmäßige Geräusch, mit dem Milch
     in einen Eimer gemolken wird. Eine weitere Kuh mit vollem Euter wartete geduldig vor dem offenen Fenster. Der Rabe krächzte
     noch einmal, und dann wurde |266| die Tür geöffnet, und drei Nonnen kamen herein. Zwei von ihnen stellten sich an die gegenüberliegende Wand, während die dritte
     zu mir kam, mich ansah und leise zu schluchzen begann. «Hild», sagte ich und stand auf, um sie zu umarmen, aber sie hielt
     mich mit ausgestreckter Hand davor zurück, sie zu berühren. Sie schluchzte weiter, aber sie lächelte auch, und dann bettete
     sie ihr Gesicht in die Hände und blieb lange so stehen.
    «Gott hat mir verziehen», sagte sie schließlich durch ihre Finger.
    «Das freut mich», sagte ich.
    Sie schniefte, nahm die Hände vom Gesicht und bedeutete mir, ich solle mich wieder setzen. Dann setzte sie sich mir gegenüber
     hin, und eine Zeit lang sahen wir uns nur an, und ich dachte, wie sehr sie mir gefehlt hatte, nicht als Geliebte, sondern
     als Freundin. Ich wollte sie wieder umarmen, und vielleicht spürte sie das, denn sie straffte sich im Sitzen und bemühte sich
     um Förmlichkeit. «Ich

Weitere Kostenlose Bücher