Die Herren des Nordens
bin jetzt die Äbtissin Hildegyth», sagte sie.
«Ich hatte vergessen, dass dein richtiger Name Hildegyth ist», sagte ich.
«Und es tut meinem Herzen wohl, dich zu sehen», sagte sie steif. Sie trug ein grobes, graues Gewand, das zu den Kutten ihrer
Begleiterinnen passte, die beide ältere Frauen waren. Sie hatten ihre Gewänder mit Hanfstricken gegürtet, und ihr Haar verschwand
unter schweren Hauben. Ein einfaches Holzkreuz hing Hild um den Hals, und sie betastete es wie unter Zwang. «Ich habe für
dich gebetet», sprach sie weiter.
«Offenbar haben deine Gebete gewirkt», sagte ich unbeholfen.
«Ich habe all dein Geld gestohlen», sagte sie mit einem Hauch ihres alten Übermuts.
|267| «Ich schenke es dir», sagte ich, «sogar gern.»
Sie erzählte mir von dem Frauenkloster. Sie hatte es mit dem Geld von Fifhadens Hort gebaut, und inzwischen beherbergte es
sechzehn Nonnen und acht Laienschwestern. «Unser Leben», sagte sie, «haben wir Christus und Sankt Hedda geweiht. Weißt du,
wer Hedda war?»
«Ich habe noch nie von ihr gehört», sagte ich.
Die beiden älteren Nonnen, die mich mit strenger Missbilligung beäugt hatten, fingen mit einem Mal an zu kichern. Hild lächelte.
«Hedda war ein Mann», sagte sie freundlich, «und er ist in Northumbrien geboren und war der erste Bischof von Witanceaster.
Er ist als ein großer Heiliger und gütiger Mensch in die Geschichte eingegangen, und ich habe ihn ausgewählt, weil du aus
Northumbrien kommst und es an deiner unbeabsichtigten Großzügigkeit gelegen hat, dass wir dieses Haus in der Stadt bauen konnten,
in der Sankt Hedda gepredigt hat. Wir haben gelobt, jeden Tag um deine Rückkehr zu ihm zu beten, und nun werden wir jeden
Tag zu ihm beten, um ihm für die Erhörung unserer Gebete zu danken.»
Ich sagte nichts, denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich erinnere mich, gedacht zu haben, Hilds Stimme klänge gezwungen,
als ob sie sich selbst genauso wie mich davon überzeugen wollte, dass sie glücklich war. Ich täuschte mich. Ihre Stimme klang
gezwungen, weil meine Anwesenheit unwillkommene Erinnerungen in ihr wachrief, und mit der Zeit begriff ich, dass Hild wirklich
glücklich war. Sie tat etwas Nützliches. Sie hatte ihren Frieden mit ihrem Gott gemacht, und nach ihrem Tod wurde sie als
Heilige verehrt. Es ist noch nicht lange her, da erzählte mir ein Bischof alles über die gesegnete, ehrwürdige Heilige Hildegyth
und welches überragende Beispiel christlicher Mildtätigkeit und Keuschheit sie gegeben habe. Ich war |268| sehr versucht, ihm zu sagen, was diese Heilige nicht nur auf einer Wiese voller Butterblumen mit mir getan hatte, aber dann
konnte ich mich doch zurückhalten. Was die Mildtätigkeit angeht, hatte er sicher recht. Hild erzählte mir, dass sich die Nonnen
ihres Frauenklosters nicht nur damit beschäftigten, für mich als ihren Wohltäter zu beten, sondern dass sie auch Kranke heilen
wollten. «Damit haben wir den ganzen Tag zu tun», sagte sie, «und selbst am Abend noch. Wir nehmen die Armen auf und kümmern
uns um sie. Ich bin sicher, dass auch jetzt einige vor unserer Tür warten.»
«Ja, einige», sagte ich.
«Diese armen Menschen sind unsere Bestimmung», sagte sie, «und wir sind ihre Dienerinnen.» Sie lächelte mich kurz an. «Und
jetzt erzähle mir, was ich hören will. Erzähle mir, was dir widerfahren ist.»
Also erzählte ich es ihr, aber ich ließ manches von dem aus, was geschehen war, und ließ die Sklaverei als erträgliches Los
erscheinen. Ich sagte nur, dass ich angekettet war und deshalb nicht fliehen konnte. Ich erzählte ihr von den Reisen und von
den seltsamen Orten und Menschen, die ich gesehen hatte. Ich sprach über das Land aus Eis und Feuer, von den Walen, die sich
durch das endlose Meer pflügen, und ich erzählte ihr von dem langen Fluss, der sich durch ein Land voller Birken und Schnee
windet, und zum Schluss sagte ich, wie glücklich ich war, wieder frei zu sein, und wie sehr ich ihr dafür dankte.
Hild blieb still, nachdem ich meine Erzählung beendet hatte. Immer noch hörte man den Milchstrahl in den Melkeimer schießen.
Ein Sperling flatterte auf den Fenstersims, putzte sich und flog wieder davon. Hild hatte mich genau gemustert, so als wolle
sie die Wahrhaftigkeit meiner Worte prüfen. «War es schlimm?», fragte sie nach einer Weile.
|269| Ich zögerte, wollte lügen, doch dann zuckte ich mit den Schultern. «Ja», sagte ich
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