Die Herren von Hermiston
ihn am Lesen verhindert und ihn wie mit Stricken gezogen, und endlich bei beginnender Abendkühle hatte er mit ersticktem Ausruf nach seinem Hut gegriffen und sich auf den Heideweg nach Cauldstaneslap gemacht. Er erwartete nicht, sie hier zu treffen; er wählte diese blasse Möglichkeit ohne Hoffnung auf Erfolg, lediglich um seine eigene Unruhe zu bekämpfen. Um so größer war daher seine Überraschung, als er den Hang hinaufklomm und das Teufelsmoor erreichte, hier auf des Toten Webers verwittertem Stein als Erfüllung all seiner Wünsche die zierliche, frauliche Gestalt in dem grauen Kleide und dem rosa Brusttuch zu finden, klein, hingekauert,verloren und grenzenlos einsam in dieser Öde. Was noch vom Winter sprach, umgab sie rings mit rostigbraunem Schimmer, und alle Frühlingsverheißungen hatten die zarten, frischen Farben der kommenden Zeit angelegt. Selbst das unwandelbare Antlitz des Grabsteins verriet den Wandel des Jahres: das Moos in der geritzten Inschrift erneuerte sich in funkelnden Juwelen von Grün. Dank eines nachträglichen, echt künstlerischen Einfalls hatte das Mädchen den rückwärtigen Zipfel ihres Tuches über den Kopf gezogen, daß es jetzt eine kleidsame Folie für ihr lebhaftes und doch nachdenkliches Gesicht bot. Sie saß, die Füße hochgezogen, und stützte sich auf den rechten Arm, der kräftig und rund in einer schlanken Handfessel auslief und im schwindenden Lichte glänzte. Ein kühler Schauer überlief den jungen Hermiston. Ihm kam der Gedanke, daß er sich jetzt auf eine ernste, um Tod und Leben gehende Angelegenheit einlasse. Es war ein erwachsenes Weib, dem er sich hier näherte, begabt mit geheimnisvollen Kräften und Reizen, mit dem ewigen Schatz ihres Geschlechts, und er war nicht besser und nicht schlechter als der Durchschnitt seines Alters und seiner Art. Eine gewisse Zartheit war ihm eigen, die ihn bisher rein erhalten und die ihn (ohne daß er oder sie es ahnte) nur um so gefährlicher machte, sobald sein Herz ernstlich gesprochen hatte. Seine Kehle war trocken, als er sich ihr näherte, aber die bittende Süße ihres Lächelns stand, ein Schutzengel, zwischen ihnen beiden.
Denn sie wandte sich ihm zu und lächelte, jedoch ohne sich zu erheben. In dieser Art, ihn als Kavalier zu begrüßen, lag eine Nuance, die beiden entging, ihm sowohl, derihren Gruß einfach liebenswürdig und anmutig wie sie selbst fand, als auch ihr, die sie trotz ihres raschen Denkens den Unterschied zwischen dem Aufstehen, um den jungen Herrn zu begrüßen, und dem sitzenden Gruß an den erwarteten Verehrer nicht erfaßte.
»Geht Ihr nach Westen, Hermiston?« fragte sie, indem sie ihm nach der herrschenden Sitte den Titel seines Guts verlieh.
»Jawohl«, sagte er ein wenig heiser, »aber ich glaube, mein kleiner Spaziergang ist jetzt zu Ende. Geht es Ihnen wie mir, Fräulein Christina? Mich duldete es nicht zu Hause. Ich kam hierher, um Luft zu schöpfen.«
Er ließ sich auf dem anderen Ende des Grabsteins nieder und betrachtete sie, forschend, was wohl hinter ihr stecke. Diese Frage war unendlich wichtig für sie beide. »Ja«, meinte sie, »auch ich konnte kein Dach über dem Kopf vertragen. Es ist so eine Gewohnheit von mir, wenn's dämmert und es ruhig und kühl ist, hierherzukommen.«
»Das war auch meiner Mutter Gewohnheit«, sagte er ernst. Halb schreckte ihn die Erinnerung, als er ihr Worte verlieh. Er blickte sich um. »Seither bin ich kaum hiergewesen. Es ist friedlich hier«, sagte er, tief Atem schöpfend.
»Ja, ganz anders als in Glasgow«, entgegnete sie. »Ein trauriger Ort, Glasgow! Aber was für einen Tag und welch herrlichen Abend hab' ich mir für mein Heimkommen ausgesucht!«
»Ja, es war wahrhaftig ein wunderbarer Tag«, sagte Archie. »Ich glaube, ich werde ihn nicht vergessen, bis ich sterbe. An Tagen wie heute – ich weiß nicht, ob es Ihnenauch so geht – erscheint alles so flüchtig, so gebrechlich und so wundervoll, daß ich Angst habe, mit dem Leben in Berührung zu kommen. Wir sind gar so kurze Zeit hier auf Erden – und all die alten Leute vor uns – die Rutherfords von Hermiston, die Elliotts von Cauldstaneslap –, alle, die vor kurzem erst hier herumritten und viel Geschrei in diesem stillen Winkel machten – und liebten und heirateten –, wo sind sie jetzt? Es ist eine tödliche Banalität, die ich da sage, aber schließlich sind auch die großen poetischen Wahrheiten Banalitäten.«
Er war am Werk, sie zu prüfen, halb unbewußt, ob sie ihn wohl
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