Die Herren von Hermiston
die Maßen gutgetan.« Die Formulierung seiner Nachfrage scheint darauf hinzuweisen, daß er beabsichtigte, den Verdacht, bevor er auf Archie fiel, erst auf andere Personen zu lenken; ferner, daß ihm daran gelegen war – zweifellos, um die Befreiung durch die Schwarzen Brüder möglich zu machen –, Archie nicht in Edinburg, sondern in einer Kreisstadt gefangen zu wissen. Allein die Bemerkung deutet nicht an, wie er die Hauptschwierigkeit, die er trotzdem vollauf erkannte, zu lösen gedachte. Beabsichtigte er vielleicht, Lord Hermistons Rolle auf den Vorsitz bei der ersten Verhandlung zu beschränken, wo die inkriminierendenBeweise gegen Archie unerwartet auftauchen sollten, und den Richtern lediglich die Anweisung geben zu lassen, daß die Justiz ihren Lauf nehmen solle?
Ob die endgültige Flucht und Vereinigung Archies und Christinas für den Gang der Handlung gleich unerläßlich gewesen wären, wird manchen Lesern vielleicht zweifelhaft erscheinen. Sie werden vermutlich empfinden, daß ein tragisches Geschick allen Beteiligten von Anfang an bestimmt war, ja daß es in den Bedingungen dieser Erzählung selbst verankert ist. Über diesen Punkt sowie über andere Fragen der allgemeinen Kritik finde ich eine interessante Diskussion seitens des Autors selbst in dessen Korrespondenz. In einem Brief vom 1. November 1892 an Mr. J. M. Barrie anläßlich einer Kritik seines berühmten Romans »The Little Minister« schreibt Stevenson:
»Ihre Schilderung der Beziehungen zu Lord Rintoul ist entsetzlich gewissenlos – ›The Little Minister‹ hätte ein schlechtes Ende nehmen müssen; wir alle wissen, daß er es in Wahrheit tat, und sind Ihnen unendlich dankbar für die Anmut und den Takt, mit dem Sie darüber lügen. Hätten Sie die Wahrheit gesagt, ich persönlich würde Ihnen verziehen haben. So wie Sie die Anfänge des Buches konzipiert und geschrieben haben, wäre die Wahrheit über das Ende, obwohl den Tatsachen absolut entsprechend, dennoch eine Lüge oder, was schlimmer ist, ein künstlerischer Mißklang gewesen. Will man, daß ein Buch unglücklich endet, so muß es von Anfang an unglücklich enden. Ihr Buch jedoch hat gleich zu Anfang schon ein glückliches Ende. Sie duldeten es, daß Sie sich selbst inIhre Figuren verliebten, sie liebkosten und anlächelten. Sobald Sie das taten, war Ihre Ehre verpfändet –. Sie waren verpflichtet, sie auf Kosten der Lebenstreue zu retten. Das gerade ist der Flecken an ›Richard Feverel‹, zum Beispiel; das Buch ist auf ein glückliches Ende hin angelegt und hält dann den Leser durch ein unglückliches Ende zum Narren. In diesem Falle steckt sogar noch Schlimmeres dahinter, denn das unglückliche Ende folgt nicht logisch aus der ganzen Handlung – die Erzählung hatte in Wahrheit nach der großen Unterredung zwischen Richard und Lucy bereits ein glückliches Ende erreicht –, die blinde, unlogische Kugel, die alles zertrümmert, hat auf dem Schauplatz der Handlung nicht mehr zu suchen als eine Fliege, die summend durch ein offenes Fenster ins Zimmer fliegt. Es hätte so kommen können; es hätte aber auch nicht so kommen können; und wo keine Notwendigkeit vorliegt, haben wir auch kein Recht, unseren Lesern wehe zu tun. Ich erlebe gerade einen schweren Gewissenskonflikt anläßlich meines Braxfield-Romans. Braxfield – nur lautet sein Name Hermiston – besitzt einen Sohn, der zum Tode verurteilt ist; offenbar liegt in den gegebenen Tatsachen eine große Versuchung – und ich beabsichtigte auch, ihn henken zu lassen. Bei Betrachtung meiner Nebenfiguren jedoch erkannte ich, daß es fünf Personen gab, die dazu neigen – ja gewissermaßen sogar sich gezwungen fühlen würden –, in das Gefängnis einzubrechen und ihn zu retten. Es sind tüchtige, energische Leute obendrein, die sehr gut Erfolg haben könnten. Weshalb sollten sie's also nicht? Weshalb sollte der junge Hermiston nicht außer Landes fliehen? Und, wenn möglich, glücklichwerden mit seiner – jetzt aber halt! Ich will weder mein Geheimnis noch meine Heldin verraten ...«
Gehen wir jedoch von der Frage, wie der Roman geendet haben würde, zu der Frage über, wie der Gedanke dazu in dem Autor Wurzel schlug und reifte. Der Charakter des Helden, Weir von Hermiston, fußt eingestandenermaßen auf der historischen Persönlichkeit Robert Macqueens, Lord Braxfields. Dieser berühmte Richter ist Generationen hindurch Gegenstand von hundert Edinburger Geschichten und Anekdoten gewesen. Wer Stevensons Essay
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