Die Herren von Hermiston
Gefühle zu Archies Gunsten nach der uralten Tradition ihres Hauses zur Selbsthilfe. Sie sammeln eine Schar vonAnhängern, brechen nach einem harten Kampf in das Gefängnis ein, darin Archie gefangen liegt, und setzen ihn frei. Er und die junge Kirstie fliehen zusammen nach Amerika. Allein die Qual der Gerichtsverhandlung gegen den eigenen Sohn ist für den Lord Oberrichter zu stark gewesen; er stirbt am Schlagfluß. »Ich weiß nicht«, fügt Stevensons Amanuensis hinzu, »was aus der älteren Kirstie wird, jedoch diese Gestalt wuchs und erstarkte derart unter seiner Feder, daß ich überzeugt bin, er hatte ihr irgendein dramatisches Geschick zugedacht.«
Der Plan jedes schöpferischen Werks ist selbstverständlich während seiner Ausführung Veränderungen von des Künstlers Hand ausgesetzt; und nicht nur der Charakter der älteren Kirstie, nein auch noch andere Elemente der Erzählung mögen sehr wohl eine Abweichung von dem ursprünglichen Entwurf erfahren haben. Es scheint indes gewiß, daß die nächste Entwicklung der Beziehungen zwischen Archie und der jüngeren Kirstie dem oben Skizzierten entsprochen haben würde; diese unkonventionelle Auffassung von des Liebhabers Ritterlichkeit und unerschütterlicher Treue gegenüber der Geliebten auch nach deren Fehltritt ist für den Autor ungemein charakteristisch. Die Rache, die den Verführer neben des Betenden Webers Stein ereilen sollte, ist bereits in den ersten Worten der Einleitung angedeutet worden, während die Lage und das Schicksal des Richters, der sich, einem Brutus ähnlich, der Pflicht gegenübersieht, den eigenen Sohn an den Galgen zu schicken, offenbar den Höhepunkt und das tragische Moment des Romans bilden sollten.
Wie dieser letzte Umstand sich innerhalb des Rahmensjuristischer Möglichkeiten hätte verwirklichen lassen, ist nur schwer zu erraten; er bildet jedoch einen der Punkte, denen der Autor die sorgfältigste Aufmerksamkeit widmete. Mrs. Strong sagt ganz einfach, der Lord Oberrichter verurteile, einem alten Römer gleich, seinen Sohn zum Tode; allein die erste juristische Autorität Schottlands versichert mir, daß keinem Richter, wenn auch noch so mächtig von Charakter und Amt, gestattet worden wäre, bei der Verhandlung gegen einen so nahen Verwandten den Vorsitz zu führen. Der Lord Oberrichter war das Haupt der Kriminaljustiz des Landes; er hätte vielleicht darauf bestehen können, während der Verhandlung gegen seinen Sohn auf dem Richterstuhl anwesend zu sein, aber niemals hätte man ihm erlaubt, den Vorsitz zu führen oder das Urteil zu sprechen. In einem Briefe Stevensons an Mr. Baxter vom Oktober 1892 findet sich auch eine Stelle, an der er in Ausdrücken, die darauf schließen lassen, daß er dies genau wußte, um Material bittet: »Ich brauche Pitcairns ›Kriminalprozesse‹ quam primum. Gleichfalls einen absolut einwandfreien Text des schottischen Richtereids. Ferner, falls Pitcairn nicht bis in die gewünschte Zeit reicht, einen möglichst vollständigen Bericht eines schottischen Mordprozesses zwischen 1790 und 1820. Verstehe mich recht: so vollständig wie nur möglich . Gibt es ein Buch, das mir den folgenden Tatsachen gegenüber als Anleitung dienen könnte? Der Lord Oberrichter muß auf seiner Rundreise bei den Assisen gewisse Personen eines Kapitalverbrechens wegen aburteilen. Auf bestimmte Beweise hin wird die Anklage auf des Lord Oberrichters eigenen Sohn gewälzt. Natürlich wird bei der nächstenVerhandlung der Lord Oberrichter ausgeschaltet und der Fall dem Vorsitzenden des schottischen Gerichtswesens überwiesen. Wo müßte alsdann die Verhandlung stattfinden? Ich fürchte, in Edinburg, und das würde mir nicht passen. Könnte es abermals in einer Kreisstadt sein?« Die aufgeworfene Frage wurde einem ehemaligen Gefährten Stevensons von der Edinburger Speculative Society, Mr. Graham Murray, jetzigem Generalanwalt für Schottland, vorgelegt, dessen Antwort dahin lautet, daß es keine Schwierigkeit bieten würde, die neue Verhandlung in eine Kreisstadt zu verlegen; sie müßte dort im Frühling oder im Herbst unter zwei Mitgliedern des obersten Kriminalgerichtshofes stattfinden; der Vorsitzende des schottischen Justizwesens würde nichts damit zu tun haben, da sein Amt zu der damaligen Zeit nur nominal gewesen und von einem Laien ausgefüllt worden sei (was heute nicht mehr der Fall ist). Daraufhin schrieb Stevenson: »Graham Murrays Notiz über das formelle Verfahren war äußerst befriedigend und hat mir über
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