Die Herrin der Flammen
ist nicht weit, aber wir sollten uns beeilen. Er ist bereits eine ganze Stunde dort.«
»Hoch, kleiner Freund.« Sie sandte Reyk in die Lüfte. Seine Schwingen schlugen einen gleichmäßigen Rhythmus, als er zum Nachthimmel aufstieg und verschwand. Wieder drückte Chenaya den Krrfbeutel. »Gehen wir.« Sie schlug Dismas kameradschaftlich auf den Arm. Aus ihrer Stimme schwang mehr als nur eine Spur Schadenfreude.
Dismas führte sie die Uferpromenade entlang, dann die Straße der Gerüche hinauf und durch eine Gasse, die sie nicht kannte. Und dann befanden sie sich in einer wahren Wildnis, dichter, als sie auf dieser Seite des Schimmelfohlenflusses für möglich gehalten hätte. In einem breiten Graben hielten sie an.
»Dort!« flüsterte er.
Die Fenster waren dunkel. Nichts ließ darauf schließen, daß sich jemand im Innern aufhielt. Aber Tempus Thaies’ mächtiges Trospferd war neben der Gartentür angebunden.
»Eine Stunde, hast du gesagt?« vergewisserte sie sich. »Wo ist unser anderer Partner?«
Er deutete stumm ins tiefere Dickicht.
Sie lächelte und warf einen bewundernden Blick auf Tempus’ prächtigen Hengst. Eine seltene Rasse, diese Tros. Kein anderes Pferd kam an Kraft, Ausdauer und Intelligenz auch nur annähernd an sie heran. Sie hatte in ihrem ganzen Leben bisher nur zwei andere gesehen. Es überraschte sie, daß Tempus das Tier unbewacht gelassen hatte.
Ja, eine seltene Rasse, diese Trospferde, und sie war entschlossen, sich auch eines zu verschaffen.
»Hol Gestus und seht zu, daß ihr so schnell wie möglich nach Landende zurückkehrt. Habt in der Stallung alles bereit, wenn ich komme. Und sorgt dafür, daß auch Walegrin und Rashan dort sind.«
»Aber Herrin!« protestierte Dismas. »Die Vampirfrau und der Geheimnisvolle – Ihr werdet vielleicht unsere Hilfe brauchen!«
Chenaya schüttelte den Kopf. »Ich werde mit ihnen fertig. Tu, was ich gesagt habe, und sieh zu, daß alles bereit ist. Und unauffällig! Ich möchte nicht, daß mein Vater etwas bemerkt.« Sie stieß ihm spielerisch die Hand auf die Brust. »Geh!«
Sie sah ihm nach, bis er wieder in der Nacht verschwunden war, dann lehnte sie sich in die Schatten zurück und holte tief Atem. Nun, da ihre Freunde aus dem Weg waren, konnte sie unbesorgt mit ihrem Streich weitermachen. Es wäre eine Beleidigung für die beiden guten Männer gewesen, wenn sie erklärt hätte, weshalb sie sie wegschickte. Aber sie kannte Tempus Thaies, und sie kannte auch die Geschichten über Ischade. Falls irgend etwas schiefging, wollte sie nicht, daß ihre Männer dafür bezahlen mußten.
Chenaya löste den Beutel mit Krrf und Zucker von ihrem Gürtel, lockerte seine Verschlußschnur und ging auf das dunkle Haus zu. Sie vermutete, daß das Trospferd ausgebildet war, Krieger zu erkennen. Sie jedenfalls hätte es ihm beigebracht, und das erwartete sie auch von Tempus. Aber sie war eine Frau und hatte in dieser Nacht ihre Waffen zu Haus gelassen. Reyk war Waffe genug – und ihr gottgegebenes Glück.
Sie näherte sich dem Tier langsam und murmelte sanfte Worte. Der Tros beäugte sie mißtrauisch und schnaubte einmal. Er verhielt sich jedoch still, und das ermutigte sie. Sie langte in den Beutel und holte eine Handvoll des Pulvers heraus. Sie wagte kaum zu atmen, als sie den letzten Schritt machte, der sie in Reichweite des Pferdes brachte.
Der Tros roch den Zucker, nicht aber den Krrf. Er leckte ihn eifrig aus ihrer Hand und wieherte nach mehr. Chenaya erfüllte ihm den Wunsch nur zu gern. Es war genug Krrf in dem Zucker, um mehrere kräftige Männer zu töten. Genug, hoffte sie, dieses Tier sehr, sehr glücklich zu machen.
Handvoll um Handvoll verleibte sich der Tros den gesamten Beutel ein. Chenaya spähte immer wieder über die Schulter zur Tür und den Fenstern von Ischades Haus, bereit, sofort wegzulaufen, wenn jemand herausschaute.
Die Augen des Pferdes wurden rasch glasig. Es leckte den letzten Rest Pulver von ihren Fingern und blickte sie auf eine Weise an, daß sie fast laut aufgelacht hätte. Wenn ein Pferd in den Himmel kommen könnte, wäre dieses Tier auf dem Weg dorthin.
Amüsier dich gut, Pferdchen, dachte sie grinsend, und mach mir keine Schwierigkeiten.
Sie unterschätzte Tempus und seinen Stolz nicht wirklich; so unbewacht das Pferd auch war, würde es doch nicht leicht zu stehlen sein. Vorsichtig löste sie die Zügel und streichelte den Hengst über den Widerrist, während sie gleichzeitig in sein Ohr murmelte. Der Tros rührte
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