Die Herrin der Flammen
dem Tros mit den Fersen einen Stoß und schnalzte mit der Zunge. Das Pferd galoppierte durch die Schlachthausgegend und bog auf den Landweg ein, ehe Zip noch ein Wort herausbrachte.
Lowan Vigeles Grundstück reichte zwar bis zum Fuchsfohlenfluß, aber der größte Teil seines Besitzes war von einer breiten Mauer mit Wehrgang umgeben. Im Süden befanden sich die Stallungen. Durch das Südtor ritt Chenaya. Dismas öffnete es rasch für sie und sprang hastig zur Seite, ehe der Tros ihn niedertrampeln konnte.
Chenaya riß mit aller Kraft an den Zügeln. Die Hufe des Streitrosses scharrten gewaltige Erdbrocken frei. Es bäumte sich auf und hätte sie fast abgeworfen, dann wurde es ganz still und zitterte.
Sie stieß erschöpft den Atem aus, schwang ein Bein über des Trospferds Nacken und rutschte auf den Boden. Dismas, Gestus, Walegrin und Rashan eilten an ihre Seite.
»Die verdammte Bestie hätte mich fast umgebracht!« fluchte Dismas. Er wischte sich den Staub von den Ärmeln und machte ein Gesicht, als würde er den Tros verschlingen, wenn man ihm nur Zeit ließ, ein gutes Feuer zu machen.
Chenaya strich das Haar aus der Stirn. Ihre goldenen Locken waren völlig zerzaust; Schweiß und Schmutz hatten Streifen über ihre Wangen gezogen. Sie wischte sich das Gesicht ab und reichte Gestus die Zügel. »Bring ihn in die Box zu Lowans Stute. Beeil dich! Sie ist brünstig, und der da hat genug Krrf in sich, die Lust einer ganzen Armee anzustacheln.« Sie klatschte dem Tros auf die hintere Flanke, als der Gladiator ihn wegführte. »Rashan, ich möchte, daß Ihr Savankalas Segen für diese Paarung erbittet. Die Stute muß empfangen. Ich brauche ein kräftiges Füllen von ihr!«
Des Priesters Augenbrauen zuckten hoch. »Ihr wollt, daß ich sich paarende Pferde segne?«
»Ihr seid doch ein Priester, Auge Savankalas, oder nicht?« Sie umarmte ihn und hauchte ihm einen Kuß auf die Wange. Rashan hatte in Landende gewohnt, während er den Bau ihres privaten Tempels am Ufer des Fuchsfohlenflusses beaufsichtigte. Sie hatten sich zu der Zeit häufig bis tief in die Nacht hinein unterhalten, und er hatte sie viel gelehrt.
»Meinetwegen.« Er rollte die Augen. »Aber wir müssen heute nacht noch miteinander reden.« Er wandte sich ab, um Gestus zu folgen, sprach jedoch weiter über die Schulter. »Ich hatte wieder einen Traum. Ihr müßt Euch die Botschaft anhören. Es war die Stimme des Donnerers höchstpersönlich.«
Sie blickte ihm schweigend nach. Seine Worte beunruhigten sie. Sein Gang und seine Haltung waren die eines Kriegers, nicht eines Priesters, und seine Figur machte einem Rankaner Ehre. Aber er war ein Priester und der oberste von Savankalas Hierophanten. Beunruhigend war, daß Rashan in letzter Zeit besondere Träume hatte, Botschaften des Gottes, behauptete er, Visionen von Chenayas Zukunft und ihrer Bestimmung. Den ganzen Winter hindurch hatten sie über die Bedeutung seiner Träume argumentiert. Es waren überhaupt keine Botschaften, hatte sie ihn zu überzeugen versucht. Nur die Wunschträume eines alten Mannes, der sah, wie sein Reich zerfiel.
An diese Meinung klammerte sie sich nun, als er mit Gestus und dem Tros in der Stallung verschwand. Sie war nicht wirklich eine Sonnentochter, das war lediglich ein Beiname, den ihr die Zuschauer in der Arena und ihre Mitgladiatoren gegeben hatten. Nichts weiter.
Zur Rechten räusperte sich jemand. Sie hatte ihren anderen Gast völlig vergessen.
»Lady«, sagte Walegrin. »Es ist mitten in der Nacht. Euer Mann hat gesagt, daß Ihr über etwas von allergrößter Wichtigkeit mit mir sprechen müßt und daß ich in Zivil kommen soll. Da Ihr Lord Fackelhalters Nichte seid, eilte ich hierher, aber der Morgen…«
Sie unterbrach ihn brüsk. »Wenn Ihr nur Onkel Molins wegen gekommen seid, Kommandant, dann geht besser gleich wieder.« Sie blickte ihn durchdringend an, keineswegs von seiner Größe eingeschüchtert. »Seid Ihr jedoch gekommen, um Eure Laufbahn zu fördern oder um Eurem Prinzen einen großen Dienst zu erweisen, dann bleibt und hört mir zu!«
Seine Augen weiteten sich im Mondschein, aber sie wandte ihm den Rücken zu und sagte zu Dismas: »An einem Haken in der Stallung hängt ein Lederbeutel mit Rotwein. Hol ihn…«
Ein plötzlicher Lärm aus der Stallung unterbrach sie. Alle blickten zu dem niedrigen Gebäude. Ein Krachen war zu hören, Bersten von Holz, das klägliche Wiehern der Stute, Gestus’ Verwünschungen und über all dem das gebrüllte Gebet
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