Die Herrin der Kathedrale
die Freundin zu umarmen. »Wenn ich dich nicht hätte.«
»Übrigens«, sagte Erna, »ich habe dich lange nicht mehr in männlicher Begleitung gesehen. Klappt dein Plan?«
»Es scheint so«, gestand Uta. »Ich lege die Bücher ja auch nicht mehr aus den Händen.«
»Das ist gut. Aber jetzt muss ich zurück. Arnold und der Kohl warten auf mich.« Daraufhin verließ Erna die Bibliothek.
Uta nahm am Tisch Platz und wandte sich erneut der Chronik Thietmars von Merseburg zu. Schon mit dem nächsten Atemzug war sie in die Welt des Merseburger Bischofs eingetaucht. Dessen Berichte lasen sich eher wie eine Niederschrift seiner Gedanken. Weit weniger gestochen und sperrig wie die überwiegend theologischen Erörterungen, die sie sonst studierte. Thietmars Zeilen über Heinrichs Versuche, sich die Menschen im Königreich Lombardei untertan zu machen, führten ihre Gedanken zum Vater nach Ballenstedt. Ob er die Leute auf der Burg weiterhin unterdrückte, so wie Erna es geschildert hatte? Ohne Gerechtigkeit keine friedliche Seele, ging es ihr durch den Kopf. Und ohne Beweise keine Anklage. Sie benötigte Beweise und wusste immer noch nicht, woher sie diese nehmen sollte. Vielleicht vermochte ja die heilige Stadt, die sie in wenigen Mondumläufen erreichen würden, sie weiterzubringen oder sogar zu erleuchten. Uta erhob sich von ihrem Stuhl und ließ sich auf dem Boden nieder. Die nächsten Seiten überflog sie, weitere studierte sie Wort für Wort. Mit dem Kopf auf dem verzierten Ledereinband des zweiten Buches nickte sie schließlich ein.
Erschrocken fuhr Uta hoch, als sie ein Räuspern vernahm. Schützend zog sie einen Stapel Pergamente vor die Brust und blickte zur Tür – von woher das Geräusch gekommen war. Ihr Blick führte sie von einem Paar prächtiger Lederstiefel und Hosen über ein wattiertes Kampfhemd hinauf zu einem anziehenden Gesicht. »Markgraf«, brachte sie peinlich berührt hervor und erhob sich vom Boden.
»Ich wagte nicht, Euch zu wecken«, sagte er leise.
»Ver… ver… verzeiht. Ich muss über der Chronik eingeschlafen sein.« Verlegen senkte sie den Kopf.
Hermann von Naumburg kam auf sie zu und beugte sich etwas vor: »Ihr habt eine interessante Wahl mit Eurer Lektüre getroffen. Ich wagte nicht, das zweite Buch«, er zeigte mit der Hand auf die Schrift, »über die Bamberger Bistumsgründung unter Eurem Kopfe hervorzuziehen, um einen Blick hineinwerfen zu können. Habt Ihr den Band bereits studiert?«
»Größtenteils«, antwortete sie verlegen. »Bis ich eingeschlafen bin.«
»Ich bin auf der Suche nach Hinweisen, wie große Vorhaben finanziert werden können«, erklärte er.
»Große Vorhaben?«, fragte Uta vorsichtig.
»Ich möchte ein Gotteshaus bauen, bin aber über die erste Planungsphase noch nicht hinausgekommen.«
Mit Kirchenbauten kannte sie sich zwar nicht aus, wusste aber, dass sie ein kostspieliges und ungewöhnlich langatmiges Unterfangen darstellten. Auch das Königspaar plante, ein Gotteshaus in Speyer zu bauen, hatte aber aufgrund fehlender nahe gelegener Steinbrüche noch nicht mit dem Vorhaben begonnen.
»Ihr wollt wirklich einen Kirchenneubau wagen?«, fragte Uta mit weit aufgerissenen Augen.
»Wartet einen Moment«, bat er und verschwand in einer Nebenkammer. Kurz darauf kam er mit einem frischen Pergament und Schreibutensilien zurück. Er nässte den Federkiel in schwarzer Tinte und begann zu zeichnen. »Hier befindet sich meine Burg.« Er zeichnete ein Kreuz, das er mit einer ovalen Linie umgab. »Das sind die Mauern um unseren Burgberg«, erklärte er nach einem Blick in ihr fragendes Gesicht.
»Und hier, gleich daneben«, Hermann setzte ein weiteres Kreuz, »ließ mein Vater die kleine Burgkirche bauen. Ihr erinnert Euch doch noch an ihn, oder?«
Uta nickte bestätigend.
»Der Vater soll endlich eine würdige Grablege erhalten. Im Moment liegt er noch auf unserer alten Burg nördlich von Naumburg begraben«, erklärte Hermann.
»All das macht Ihr für Euren Vater?«, fragte sie, dachte aber schon beim nächsten Atemzug, dass sie für ihre Mutter jederzeit das Gleiche tun würde.
»Ich tue es für das Seelenheil unserer gesamten Familie und weil die Herausforderung eine so ungewöhnliche ist.«
»Wie ungewöhnlich?«, fragte sie.
Er lächelte, als ob er diese Frage erwartet hätte. »Ein Gotteshaus wachsen zu sehen ist das Größte, was ich mir vorstellen kann. Es ist unsere direkte Verbindung zum Herrn. Eine Verbindung, die ich mit meinen eigenen Händen
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