Die Herrin der Kathedrale
Mechthild und Grete schreien, und Elisabeth konnte sie in dem Durcheinander nirgendwo mehr sehen. War die Freundin etwa den Abhang hinabgestürzt? »Elisabeth?«, rief sie besorgt. Da verlor auch ihre Stute den Halt, Uta rutschte von ihrem Rücken und im Schlamm der Böschung entgegen.
»Nehmt meine Hand!«, drängte jemand.
Uta griff zu. Als Nächstes spürte sie einen stechenden Schmerz durch ihren Steiß schießen.
Ihr Retter zog sie hoch und trug sie auf den Armen davon. Gepeinigt stöhnte Uta auf. »Esiko?«, murmelte sie benommen, die Augenlider kraftlos geschlossen. »Elisabeth ist verschwunden. Wir müssen sie suchen.«
Ihr Retter watete zu einer Anhöhe, auf die sich bereits andere Damen gerettet hatten. »Es wird alles gut«, besänftigte er sie mit ruhiger Stimme und legte sie auf einem breiten Stein vorsichtig ab.
»Ich konnte Elisabeth nicht mehr sehen«, sagte Uta mit letzter Kraft, als sie verschwommen eine Frau mit einem Kräutersäckchen erkannte, die sich über sie beugte.
»Bitte kümmert Euch um sie. Ihr darf nichts zustoßen«, hörte sie ihren Retter mit der ruhigen, rauhen Stimme sagen.
»Sehr wohl, Markgraf«, entgegnete die Heilkundige und wies gleich darauf ihre Helferin an, einen Brennnesselextrakt anzurühren.
Inzwischen war die Matschlawine seitlich des Weges den Berghang hinabgeflossen und hatte eine breite, schwarze Spur der Verwüstung auf dem Pfad und im säumenden Gestrüpp hinterlassen. Mühsam hob Uta den Kopf und sah, dass um sie herum andere Verletzte behandelt wurden. Erst als sie Elisabeth unter ihnen erkannte, ließ sie den Kopf kraftlos zurück auf den Stein sinken.
»Trinkt das, es wird die Schmerzen lindern«, sagte die Heilerin und stützte ihren Kopf, um ihr den Kräutersud einzuflößen.
»Danke Gott und danke Euch, Markgraf«, presste Uta an Hermann von Naumburg gerichtet hervor und nickte dann erschöpft ein.
Elisabeth zog die Sattelriemen fester. Die Überprüfung des Geschirrs war auf einer Reise wie dieser nach jedem Halt erforderlich. Nicht selten erlitten Reiter Verletzungen, weil sie vom Pferd rutschten und unsanft auf dem Boden landeten oder durch einen Sturz den Abhang hinab gar zu Tode kamen. Sie waren jüngst am Gardasee vorbeigeritten und hielten nun auf Mailand zu. Bis auf Mechthild hatten die anderen Hofdamen die Matschlawine ohne ernsthafte Verletzungen überstanden. Die Hannoveranerin fesselten seitdem heftige Gichtanfälle ans Krankenbett, das man ihr neben anderen transportbedürftigen Kranken auf einem der Karren errichtet hatte.
»Es wird Zeit. Wir reiten weiter!«, rief ein Trossreiter aus der Ferne, um alle Reisenden zu mahnen, ihre Habseligkeiten zu verstauen und die ihnen zugeteilte Position im Gefolge einzunehmen.
Elisabeth sprach ein Reisegebet und trat vor ihr neues Pferd, das alte hatte sich beim Abgang der Matschlawine die Vorderläufe gebrochen und war infolgedessen getötet worden. Vorsichtig legte sie die Hand auf die Blesse der Stute. Es würde noch einige Zeit brauchen, bis sie sich aneinander gewöhnt hatten. »Wenn wir das nächste Mal rasten, werde ich nach trockenem Hafer schicken lassen«, versprach sie.
Elisabeths Herz begann heftiger zu schlagen, als sie Esiko sah, der sich von den Trossreitern löste, die den Königszug zum nahen Waldstück hin abschirmten, und auf sie zuhielt. Auf die Gelegenheit, mit ihrem Angebeteten zum ersten Mal vertraute Worte austauschen zu können, hatte sie so lange gewartet. Sie rieb sich die verschwitzten Hände am Kleid ab und blickte immer wieder auf, um zu sehen, ob der Heerführer auch wirklich auf sie zuritt.
Da stieg Esiko auch schon vor ihr vom Pferd. »Ihr seid eine Hofdame unserer Königin?«, fragte er.
Sichtlich nervös blickte Elisabeth zu Boden. Ob Uta ihm bereits gesagt hatte, dass sie ihn heiraten wollte? Schüchtern hob sie den Kopf und schaute in an.
»Ich habe eine glückliche Botschaft zu verkünden«, sagte Esiko, trat an Elisabeth vorbei und strich ihrer Stute gönnerhaft über die Blesse. »Der König ist einverstanden, wenn ich mich einer Frau antraue.«
Ungeachtet dessen, dass sie ihr kostbarstes Reisegewand trug, sank Elisabeth auf die Knie. »Mein Herr und Graf Esiko, ich werde Euch immer eine treu ergebene Ehefrau sein.« Sie ergriff seine Hände und presste ihre Stirn fest dagegen. »Ihr macht mich so glücklich.« Gleich nachher würde sie ihren Freundinnen von dem Verlöbnis berichten und Uta ganz besonders danken. Elisabeth erhob sich, denn ein edler
Weitere Kostenlose Bücher