Die Herrin der Kathedrale
kullerte dabei unbemerkt vom Tisch. »Wir bauen einen Chor im Osten und einen im Westen, mit jeweils zwei Türmen, und eine Krypta. Der Ostchor erhält eine Auswölbung, eine Apsis, genauso wie die Querhausflügel«, sagte er und vermochte seine Augen nicht von ihrer Hand zu lösen. Unbewusst erhob er sich. »Inzwischen hat der Heilige Vater unserer Bitte um Verlegung des Bistumssitzes von Zeitz nach Naumburg zugestimmt. Der entsprechende Schriftsatz wird Bischof Hildeward von Zeitz noch dieses Jahr erreichen.«
»Ihr wollt hier eine Bischofskirche errichten?«, staunte Uta und strich nun mit der Hand über den vermuteten Chor. Und inwieweit standen die genannten Querhausflügel mit einem Vogel in Verbindung?
Hermann nickte und bemerkte erst in diesem Moment, dass er im Begriff war, zu ihr hinüberzugehen. Sofort setzte er sich wieder hinter seinen Tisch. »Etwas ganz Besonderes hat zu mir gefunden. Etwas, das mir zeigt, dass Gott unser Tun beschützen wird.«
»Ein Überbleibsel?«, hauchte Uta beeindruckt.
Er nickte. »Ich habe es vergangene Nacht an einem sicheren Ort in der kleinen Burgkirche verstaut. Dort soll es erst einmal bleiben, bis wir die schriftliche Genehmigung zur Verlegung des Bischofssitzes auch tatsächlich in Händen halten.« Eine echte Reliquie in der unauffälligen Burgkirche, die so wenig mit den prächtigen Gotteshäusern gemein hatte, die Uta in Begleitung des Kaiserpaares aufgesucht hatte, und doch eine ganz besondere Atmosphäre besaß. »Beabsichtigt Ihr noch immer, den Neubau an die Burgkirche anzuschließen?«
»Ihr erinnert Euch noch?« Seine Augen leuchteten auf, und er trat nun doch zu ihr vor den Grundriss. »Ich hoffe, dass der Platz dafür ausreichen wird.« Er fuhr mit dem Zeigefinger über die Linien, die den Kirchenrumpf darstellten, und dann weiter bis zur angedeuteten Burgkirche. »Beide Gebäude, Burg- und Bischofskirche, befinden sich auf der gleichen Achse.«
Utas Blick glitt von den Linien zu seiner Hand. Wie gerade und wohlgeformt seine Finger doch waren.
»Der Abstand zwischen beiden beträgt nur wenige Schritte«, fuhr er fort. »Das wird eine Herausforderung für den Werkmeister werden, denn die Westwand des Baus, die an die Burgkirche grenzen soll, besitzt eine Außenwölbung, die naturgemäß mehr Platz einnimmt als eine gerade Wand.« Hermann sprach, ohne sie dabei anzuschauen. »Die Marien-Pfarrkirche wird bis zum Bauabschluss als Bischofskirche fungieren und danach zum Domnebenstift umfunktioniert werden.«
»Es wäre schade, die kleine Burgkirche niederzureißen«, sagte sie. »Ich habe das Gefühl, dass sie etwas Besonderes ist.« Für besonders intime Gebete ging Uta meistens dorthin.
»Vielleicht könnte man das neue Bauwerk im Westen, wo es an die Burgkirche grenzt, noch etwas zurücknehmen.« Nachdenklich spitzte Hermann die Lippen. »Ein Vorschlag, den ich überdenken sollte«, sagte er und drehte sich ihr zu.
»Aber vielleicht müssen wir gar nicht auf die Wölbung verzichten. Es genügt eventuell, sie zu verlegen. In das Innere der Westwand.«
»Dann schließt die Westwand nach außen platzsparend gerade ab, aber von innen ist eine Wölbung eingearbeitet«, schlussfolgerte Uta mit einem schüchternen Lächeln und fühlte, wie sich ihre Wangen erhitzten.
Hermann nickte und spürte das Verlangen, sie an seiner Vision teilhaben zu lassen. »Ich träume von einer richtigen Stadt, die wir erschaffen können!«, sagte er, trat auf das kleine Fenster neben dem Grundriss-Leder zu und öffnete es.
Uta folgte ihm und blickte zunächst auf das darin verbaute Glas. Nur in einigen neueren Anbauten auf der kaiserlichen Burg hatte sie bislang Fenster gesehen, bei denen Pergamente oder Leder durch diesen neuartigen Baustoff ersetzt worden waren. Dann atmete sie tief durch.
Ein Schwall frischer Morgenluft hüllte sie ein.
»Die neue Kathedrale wird das Zentrum des vorderen Burgbereichs werden.« Hermann zeigte neben die Burgkirche, die von oben gesehen winzig wirkte.
Gut eine Armlänge entfernt von ihm, betrachtete Uta Hermann. Wie begeistert er von seinem Traum spricht, dachte sie und legte den Kopf zur Seite. Er trug ein dunkles Obergewand, hatte das Haar bis über die Schultern gestutzt und war bartlos, wie es inzwischen Sitte geworden war.
»An der Nordseite des Bischofsbaus«, fuhr er fort, »schaffen wir neue Wohnräume für die Geistlichen des Marienstifts und für weitere Neuzugänge. Seht Ihr den Platz dort unten?«, fragte er und schaute Uta
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