Die Herrin der Kathedrale
schmunzeln. Hätte er die Burgherrin nicht schon besser kennengelernt und sie begeistert und ideenreich in ihren Aufgaben und der Diskussion um den Fortgang der Bautätigkeiten erlebt, hätte er vermutlich auf ähnliche Weise Maulaffen feilgehalten.
Uta trat vor den Maurermeister und reichte ihm die Hand.
Der griff vorsichtig zu und war unsicher, ob er diese küssen oder schütteln sollte. Er entschied sich für Letzteres.
Als Nächstes wandte Uta sich an die Tagelöhner. »Vielen Dank, dass ihr den Weg nach Naumburg gefunden habt. Eure Unterkünfte werden zügig fertiggestellt. Ist alles recht hier für euch?« In Gedanken zurück bei der drängenden Frage, warum die Handwerker nur ausblieben, schaute sie die Arbeiter erwartungsvoll an.
»Sehr wohl, Burgherrin, alles recht hier«, antwortete der Maurermeister und auch die Tagelöhner nickten angetan.
»Dann starrt nicht länger, Meister Joachim, sondern kümmert Euch um die Steine«, stieß Meister Tassilo ihn in die Seite.
»Wir müssen die Maße der neuen Häuser abstecken und benötigen den gesäuberten Platz noch heute.«
»Natürlich Werkmeister«, versprach der Maurer, und die Tagelöhner begannen mit der Arbeit.
Nach einem Blick auf das Pergament legten Meister Tassilo und Uta inmitten aufwirbelnder Steinstaubwolken mit Latten das Mauerwerk fest und rammten Holzkeile an den Eckpunkten in den Boden, um danach Seile zu spannen.
»Ich weiß mir keinen Rat mehr, Meister«, sagte Uta, nachdem sie einen Doppelknoten mit zusätzlicher Schlaufe gemacht hatte, und blickte in die Vorburg. »Auch heute sind noch keine Handwerker eingetroffen.«
Meister Tassilo trieb den Eckpflock mit jedem Hammerschlag drei Finger tiefer in den Boden. »Dann sollten wir zum Karrendienst rufen«, schlug er vor, »damit wir die verschiedenen Gebäudeteile wie geplant parallel hochziehen können.«
Uta zog die Schlaufe fester und griff nach einem weiteren Seil.
»Karrendienst?«
»Zum Karrendienst rufen wir alle Gläubigen auf die Baustelle. Wir müssen den Aufruf über die Grenzen der Mark dringen lassen.« Meister Tassilo setzte den Hammer ab. »Egal, ob Bauer, Kind oder Weib. Jede Hand zählt. Ohne Sold, nur um Gott zu gefallen und um das eigene Seelenheil bemüht, können sie Transportdienste übernehmen, Holz aus den Wäldern heranschaffen oder wiederverwendbare Säulen mit Hilfe von Pferden und Ochsen auf Karren von nahen Trümmerbauten heranbringen.«
»Das klingt großartig!« Während Uta das Seil um den nächsten Pflock band, verfasste sie in Gedanken bereits das Schreiben mit dem Aufruf zum Karrendienst.
Bischof Hildeward erhob sich. Die erste Hälfte des Tages hatte er vor dem schlichten Holzkreuz immer wieder um Vergebung gefleht. Als er herumfuhr, traf ein Sonnenstrahl auf seine kalkweiße Haut und ließ ihn entzückt erschaudern. Obwohl der Herbst laut Kalender bereits begonnnen hatte, fühlten sich die Sonnenstrahlen heiß an. Seine Hand tastete zu der beschienenen Stelle am Hals. Sollte der Herr seine Bitten endlich erhört und ihm zum Zeichen dafür göttliches Licht gesandt haben?
Er streckte die linke Hand mit dem Schlüsselring der ungewohnten Wärme entgegen, atmete tief ein und folgte dem Sonnenstrahl zum Fenster. Dort löste er die Verriegelung und spähte auf die Kathedralbaustelle zu Füßen des Turmes hinab. Die Augen wegen der gleißenden Helligkeit zusammengekniffen, fiel sein Blick auf einige Arbeiter, die die Grube für die Fundamente des Ostchores aushoben.
Hildeward lehnte sich gegen das Mauerwerk am Fenster, schloss die Augen und sprach vor sich hin: »Ausreichend tief müsst ihr die Gräben ausheben, damit meine Kathedrale so fest verankert wie keine andere im Boden steht!« Seine Kathedrale würde ihn endlich freisprechen, auch wenn sie mit Hilfe eines Sünders errichtet werden würde. Ja, Tassilo von Enzingen musste er beobachten – Stein anstelle von Holz? Er sah diese Neuerung äußerst kritisch. Auch wenn die Aussicht auf ein Haus für die Ewigkeit nur allzu verlockend war – so etwas konnte nicht gutgehen. Es würde sein Haus – nein, sein Zuhause – werden, in dem er Gottes Gnade jeden Tag neu empfangen würde. Welch großartigen Plan der Kaiser doch entworfen hatte: eine Kathedrale zu errichten, die vom Schleier der heiligen Plantilla beschützt wurde. »Bis ans Ende meiner Tage beschützt sie auch mich!«, wisperte Hildeward und öffnete wieder die Augen. »Wie könnte ich dem Allmächtigen näherkommen als durch dieses
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