Die Herrin der Kathedrale
probiert und nichts Falsches ausmachen können.
Die Wasserdampfschwaden um sie herum lösten sich langsam auf. Die vielen neuen Worte wie Seiten- und Hauptschiff, Vierungsquadrat und gebundenes System waren ihr bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Vielleicht betrachtete sie die neue Kathedrale deswegen nun wie ein Schiff, auf dem sie mit scheinbarer Leichtigkeit durch tosende Gewässer glitt. Dabei ließ sie die Hände wie Ruder durch das Wasser und über ihre Oberschenkel gleiten. Mit einem Mal sprang sie wie von der Tarantel gestochen auf, so dass Katrina erschrocken zurückwich und gerade noch das Buch vor dem Sturz ins Wasser bewahren konnte.
»Keine schmutzigen Kleider mehr!«, verkündete Uta und stieg aus dem Wassertrog. Sie trocknete sich mit dem ihr von Katrina hingehaltenen Tuch flüchtig ab, warf sich eilig eines ihrer Kleider über und lief aus der Kammer in den Hof hinab. Spitze Steine bohrten sich in Utas nackte Fußsohlen, doch sie bemerkte es nicht. Vor der Tür der alten Schmiede rief sie:
»Erna, schläfst du schon?«
Katrina trat neben sie und hielt ihr wortlos das Schuhwerk hin. Erst jetzt bemerkte Uta, dass das Mädchen ihr gefolgt war. »Du denkst wirklich an alles«, sagte sie und ergriff die Lederpantoffel.
Einen Augenblick später öffnete die Köchin verschlafen die Tür. »Uta?« Mit offenem Mund starrte Erna die Freundin an, die in einem dünnen Gewand und ohne Schleier, dafür aber mit nassem Haar und einem Paar Schuhe in der Hand, im Dunkel der Nacht vor ihr stand. Zum Glück war das Kammermädchen sittsam gekleidet.
»Lässt du mich kurz ein?«, bat Uta. »Mir ist ein Gedanke gekommen, und ich möchte zu gerne wissen, wie du darüber denkst.«
»Aber solltest du dir nicht erst etwas Wärmeres anziehen?«, fragte Erna besorgt.
»Es ist dringend!«, drängte Uta und schob die Freundin rückwärts in deren Wohnkammer. Katrina folgte ihnen.
Erna gab Arnold, der benommen auf der Treppe stand, ein Zeichen, dass alles in Ordnung war und er weiterschlafen solle. »Dann setzt euch«, sagte sie, holte einen einfachen Umhang aus einer Nische unter der Treppe und legte ihn Uta um die Schultern. Katrina zögerte zuerst, schritt dann aber in Richtung der Treppe und schaute sehnsüchtig hinauf.
»Ich war heute das erste Mal bei Meister Tassilo auf der Baustelle«, begann Uta aufgeregt mit einer ausladenden Handbewegung zu erzählen, so dass der Umhang ihren verletzten Arm freigab. »Es war einfach berauschend! Auch wenn der Bau noch nicht schnell genug vorankommt, sehe ich schon die Mauern wachsen, deren Verlauf wir heute abgesteckt haben!«
Erna betrachtete die Freundin sorgenvoll. »Aber, was hast du denn mit deinem Arm gemacht?«
Als Uta gerade antworten wollte, ertönte Kindergeschrei von oben. »Entschuldige mich«, sagte Erna und stieg die Treppe hoch. Katrina folgte ihr. Einen Augenblick später erschienen die beiden wieder im Erdgeschoss, wobei Erna die kleine Luise und Katrina Selmina wiegte.
»Uta, du musste auf dich aufpassen!«, fuhr Erna fort. »Du bist die Burgherrin hier. Dir darf in diesem steinernen Wirrwarr nichts passieren.«
»Ich weiß«, versicherte Uta. »Deswegen bin ich ja auch hier!«
»Wie kann ich dir dabei helfen?«, wollte Erna wissen. »Wenn ich dich nicht schon so viele Jahre kennen würde, würde ich vielleicht glauben, dass du dich ab heute von den Steinen fernhalten willst.«
»Zukünftig will ich mich zumindest auf der Baustelle schützen!«, erklärte Uta. Sie trat vor den Amboss und legte die Hand auf dessen Viereck-Horn. »Ich möchte eine lange Lederschürze für mich anfertigen lassen! So wie die Schmiede eine tragen.« Ihre Augen glänzten. »Eine solche Schürze ist robust und schützt meine Kleider!«
»Eine Burgherrin in Lederschürze?«, rief Erna laut aus, zügelte sich aber sofort wieder, als ihre Tochter darauf heftig mit den Ärmchen zu rudern begann. Selmina schrie aus vollem Halse, und Katrina wandte sich hilfesuchend um. Sofort zeigte Erna dem Kammermädchen, wie sie das Neugeborene beruhigen konnte. Zögerlich steckte Katrina Selmina ihren kleinen Finger in den Mund und schaute fasziniert zu, wie das Kind zu saugen begann und zufriedene Schmatzlaute von sich gab.
»In Lederschürze und Holzpantoffeln!«, fügte Uta hinzu und lächelte verschmitzt. »Wenn mir das nächste Mal etwas auf den Fuß fällt, merke ich das gar nicht. Außerdem: Der Schleier der Plantilla beschützt uns alle. Auch mich.«
Katrina wandte sich besorgt
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