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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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mächtigsten Kirchenmannes gleich nach dem Papst, zu entledigen? Angewidert schüttete Aribo seinen Wein aus dem Fenster. Den Aufstieg der Stadt würde er zu verhindern wissen.
    Uta hob den Kopf, der sich schwer anfühlte. Sie musste im Stehen eingenickt sein. In ihrer Hand hing noch der Kiel, mit dem sie in der vergangenen Nacht das mittlerweile fünfte Dutzend Schreiben für die Marktausrufer und Bauherren im Reich aufgesetzt hatte. Darin bat sie Steinbrecher, Steinmetze, Zimmerleute, Schmiede, Maurer, Wagner und Transportknechte, die andernorts nicht benötigt wurden, zur neuen Burg am Zusammenfluss von Saale und Unstrut zu kommen. Uta rieb sich die Augen und trat von ihrem Schreibpult zum Fenster. Die Herbstsonne brannte noch ungewöhnlich heiß. Sollten seit ihren ersten Anwerbungsschreiben vor zwei Mondumläufen tatsächlich erst einhundert Arbeiter auf die Baustelle gekommen sein, wo sie doch fünfhundert benötigten? Sie erinnerte sich, wie ihr der Vogt die üblichen Soldsätze für die verschiedenen Gewerke erklärt hatte, die ebenfalls Gegenstand der Anwerbungsschreiben gewesen waren, und legte den Federkiel beiseite. »Bestimmt brechen sie im kommenden Frühjahr zu uns auf. Sie scheuen die winterliche Reise.« Uta hatte es nicht einmal geschafft, ihre Bibliothek einzurichten, geschweige denn irgendwelche Schriften über Gerichtsverhandlungen ausfindig zu machen. Das würde wohl erst möglich sein, wenn genügend Handwerker nach Naumburg gekommen waren.
    »Was hält sie nur davon ab, auf unsere Baustelle zu kommen?«, überlegte sie laut. »Ziehen sie vielleicht allesamt auf die kaiserliche Baustelle in Speyer?«
    Der Speyergau! Uta trat vom Fenster zurück und zog einen Brief unter dem zuletzt gefertigten Anwerberschreiben hervor. Es war ein Schreiben der Kaiserin, die sich nach ihrem Befinden erkundigt und ihr berichtet hatte, dass Adriana mit einem bulgarischen Grafen und Grete mit einem böhmischen Adligen verheiratet worden war. Zudem hatte die Kaiserin von ihrer älteren Schwester Mathilde, Esikos Gemahlin, gesprochen. Deren Groll schien, den kaiserlichen Erwartungen entsprechend, durch Esiko gebändigt.
    Beim Gedanken an die Familie musste Uta unwillkürlich an Hazecha denken. Warum nur schrieb ihr die Schwester nicht? Was, wenn die Schwester todkrank daniederlag? Sie musste etwas tun, nachsehen, wie es der Schwester ging. Aber Äbtissin Adelheid würde sicher einen Grund finden, sie auch dieses Mal nicht zu Hazecha zu lassen. Uta ging grübelnd in ihrer Kammer auf und ab. Hatte ihr Schwester Margit nicht von einer Reise berichtet? Schlagartig erinnerte Uta sich: Die Benediktinerinnen des Moritzklosters sollten den Heereszug begleiten, um die verwundeten und erkrankten Kämpfer zu versorgen.
    »Gleich morgen werde ich Schwester Margit bitten, auf ihrem Weg zum kaiserlichen Heer über Gernrode zu reisen und sich mit eigenen Augen von Hazechas Wohlbefinden zu überzeugen«, sagte sie zu sich selbst. »Einer Benediktinerin kann Äbtissin Adelheid den Zutritt nicht verwehren.«
    Uta ging zum Pult und zog einen weiteren Brief hervor. Ein Schreiben des Gatten, der ihr knapp berichtet hatte, dass Meißen noch nicht gerettet war und weitere Überfälle zwischen der Lausitz und Meißen zu erwarten waren. Die Kämpfer, so hatte ihr der Gatte stolz schreiben lassen, verdankten ihr Leben nicht nur dem Glauben an die heilige Plantilla, sondern auch und nicht zuletzt ihren beiden unerschütterlichen Anführern: den Grafen Esiko von Ballenstedt und Ekkehard von Naumburg. Im Frühjahr, so berichtete der Gatte weiter, war der kaiserliche Hof an Würzburg vorbeigezogen und hatte ihn zu militärischen Erörterungen über den anstehenden Feldzug für einige Tage nach Mainfranken gebeten.
    Die Kathedrale darf nicht zur Enttäuschung für die Kämpfer werden, dachte Uta. Und so ließ sie Ekkehards Schreiben sinken und schlug ihre neueste Abschrift auf: Zehn Bücher über Architektur, ein Werk des Römers Vitruv. »Die Bildung des Baumeisters ist mit mehreren Wirtschaftszweigen und mannigfachen Elementarkenntnissen verbunden«, begann sie zu lesen. »Erst durch sein Urteil finden alle von den übrigen Künsten geleisteten Werke ihre Billigung.« 20 Warum nur schrieb Vitruv nichts darüber, wie man Handwerker auf die Baustellen lockte? Sie las weiter: »Die Architektenbildung entspringt zunächst aus zwei Faktoren, aus der Praxis und aus der Theorie.« Uta schaute auf. Bisher hatte sie nur die Theorie erfahren. Würde ihr

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