Die Herrin der Kathedrale
erst recht deine Familie, die sich für dich schämen muss! Ein Weib auf einer Kathedralbaustelle!«
»Das ist weiß Gott keine Sünde«, beharrte sie. »Und es ist besser, wenn du jetzt gehst.«
Da hielt Esiko inne und sagte plötzlich mit tiefer, beinahe besorgter Stimme: »Eigentlich war ich gekommen, um dich über das Ableben unseres Vaters zu informieren.«
Verwundert sah Uta ihm in die Augen. »Er ist tot?«
Esiko nickte, beinahe zärtlich. So verunsichert gefiel ihm seine Schwester schon besser.
Hoffentlich wird des Vaters Seele weit weg von der der Mutter ruhen, ging es Uta durch den Kopf. Sie trat aus dem Lichtkegel des Talglichts heraus vor die Bettstatt. All die Jahre hatte sie stets ihr Wunsch nach Gerechtigkeit vorangetrieben. Würde sie diese nach dem Tod des Vaters jemals noch herbeiführen können? Sollten all ihre Überlegungen und Anstrengungen, zuletzt ihre Bitte um Eideshilfe an Kaiserin Gisela, umsonst gewesen sein? Konnte ein Mörder auch noch nach seinem Ableben gerichtet werden, oder übernahm dies nun das göttliche Gericht?
In unserem Kampf wird sie immer mehr zur Unterlegenen, analysierte Esiko zufrieden, als er Uta so schweigsam vor der Bettstatt stehen sah. Aber es war auch an der Zeit, dass Utas Widerstandskraft endlich gebrochen wurde und mit ihrer Unterwerfung endete – das waren die Weiber seiner Familie ihm schuldig. Sein Freund Ekkehard würde ebenfalls seinen Beitrag dazu leisten. Esiko frohlockte bei dem Gedanken, wie bereits die Mutter vor ihm gekniet hatte, die Hände bittend in die Luft gereckt. Und in nicht allzu ferner Zeit würde dies auch die Schwester tun und er nebenbei noch die Mark Meißen übernehmen. »Der Husten, welcher den Vater schon länger quälte, hat ihn schließlich das Leben gekostet. Er ist an seinem eigenen Schleim erstickt«, setzte Esiko erklärend hinzu, um die Aufmerksamkeit der Schwester wieder auf sich zu ziehen.
Doch Uta war in Gedanken und vernahm erneut die Worte der Kaiserin: Ihr seid die beste Frau, die die Mark Meißen bekommen konnte. Mit klopfendem Herzen straffte sie die Schultern.
»Bitte entschuldige mich nun. Aber die Pflicht ruft.«
»So sei es!« Es riecht ohnehin merkwürdig in dieser Kammer, dachte Esiko und überlegte, woher er diesen Gestank kannte.
»Aber Schwesterlein vergiss nicht: der Herr gibt, der Herr nimmt.« Mit diesen Worten verließ er die Kemenate.
Als seine Schritte im Gang verklungen waren, holte Uta die Schale mit der Herrgottsgnade wieder hervor. »Es gibt immer einen Weg, glaub mir, Brüderlein!«
Nachdem sie mehrere Male tief durchgeatmet hatte, rief Uta nach Katrina und schickte sie erneut mit der Bitte, ihr heißes Wasser zu bringen, in die Küche.
Mit jedem Schluck Kräutersud verschwanden ihre Aufregung und ihr Widerwille etwas mehr.
»Nun begleite mich zu Graf Ekkehard, Katrina. Ich werde meinen Pflichten nachkommen«, sagte sie bestimmt und trat in den Burggang.
Für den nächsten Morgen nahm sie sich vor, am Schrein des heiligen Schleiers ein Gebet für den kranken Wipo zu sprechen.
»Ein Zwölfender, sagtest du?«
Hermann nickte zuversichtlich, den Rothirsch mit dem stattlichen Geweih, den er erst gestern ausgemacht hatte, auch heute noch anzutreffen, denn er roch die Hirschtränen, ein übelriechendes Sekret, das von den männlichen Tieren während der Brunftzeit abgesondert und als Duftmarke an Sträucher und Bäume gesetzt wurde. Es hatte Hermann einige Anstrengung gekostet, den Bruder am Morgen aus der Mitte der Ritter wegzuholen. Nun waren sie gemeinsam in den Naumburger Wäldern unterwegs, die der Abholzung bisher entgangen waren.
»Lass uns rasch spannen«, schlug Hermann vor und zog einen Pfeil aus dem Köcher, den er auf dem Rücken trug.
Sie legten sich in das zwischen den Bäumen wachsende Gestrüpp.
»Es raschelt«, flüsterte Ekkehard und legte die Armbrust an. Dabei fixierte er eine Ansammlung von Birken, die zwanzig Schritt von ihnen entfernt an eine Grasfläche anschloss. Darauf konzentriert, den geeigneten Moment für sein wahres Anliegen nicht zu verpassen, beobachtete Hermann den Bruder aufmerksam. Wie sollte er am besten beginnen?
Da zischte Ekkehard verächtlich: »Nur ein Schmaltier!«, und zielte dennoch darauf.
Hermann beobachtete, wie das weibliche Jungtier vorsichtig um sich spähte. Von der zarten Schönheit seiner Gestalt an Uta erinnert, sprach er aus, was ihm nicht erst seit der Weihe vor sieben Tagen auf dem Herzen lag. »Du solltest ihre Fähigkeiten
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