Die Herrin der Kathedrale
»Ich muss nach Ballenstedt«, beschloss sie und erhob sich von der Bettstatt. Am Grab der Mutter würde sie diese um Verzeihung für den einstigen Ausritt bitten. Wenn diese ihr verzieh und von Esikos Vorwürfen freisprach, würde sie den Kampf um Gerechtigkeit zu Ende bringen. Nur wer frei von Sünde ist, darf anklagen!, hieß es.
Überdies könnte sie in Ballenstedt nach Beweisen suchen, die die Zweifel der Kaiserin an der Schuld des Vaters auszuräumen vermochten.
Uta ergriff den Kiel und brachte ihre Gedanken in einem Brief an Hazecha zu Papier. Es war an der Zeit, Hazecha wiederzubegegnen. Das spürte sie.
»Katrina!«, rief sie das Mädchen zu sich, nachdem sie fertig war. »Begleite mich zum Gebet in die kleine Burgkirche.« Dann befestigte sie den Schleier am Kopf und legte sich einen Umhang um.
Als sie den Platz der Hauptburg betraten, kam Meister Tassilo schnellen Schrittes auf sie zu. »Darf ich Euch für einen Moment in meine Arbeitskammer bitten, Gräfin?«, fragte er und verneigte sich vor Uta und Katrina.
»Ist etwas mit der Kathedrale?«, wollte Uta augenblicklich wissen.
Meister Tassilo lächelte. »Nichts, was Euch beunruhigen sollte.« Zu dritt betraten sie den Turm und stiegen die Wendeltreppe nach oben. » Dies diem docet, Uta von Ballenstedt«, drang eine rauhe Stimme in der Arbeitskammer an Utas Ohr.
»Markgraf.« Uta deutete eine Verbeugung an und lächelte verlegen. Ekkehard hatte sie davon unterrichtet, dass Hermann den kaiserlich-königlichen Hof nicht ins Winterlager begleiten, sondern den Bau der Kathedrale vorantreiben würde. Sie hatte jedoch nicht erwartet, ihn so schnell wiederzusehen. »Was ist mit der Kathedrale?«, fragte sie besorgt und blickte auf das Buch mit dem weißen Ledereinband auf dem Schreibtisch, vor dem sich Zeichenutensilien und unzählige Pergamente stapelten. Nichts schien auf Unregelmäßigkeiten oder einen Notstand hinzuweisen.
»Gräfin«, begann Meister Tassilo, der nur zwei Schritte von Uta und Katrina entfernt stand, »wir würden Euch gerne verstärkt in die Arbeiten für die Kathedrale einbinden.«
»Natürlich kümmere ich mich auch weiterhin um die Organisation«, sagte Uta und fragte sich, warum die Herren plötzlich daran zweifelten.
»Das meinte der Werkmeister aber nicht«, sagte Hermann, ohne dabei den Blick von Uta zu nehmen.
»Ihr sprecht nicht von der Organisation?«, fragte sie verwirrt.
»Wir dachten, Ihr könntet mich zukünftig beim Zeichnen der Baupläne unterstützen«, sagte Meister Tassilo.
Fragend schaute Uta zwischen den Männern hin und her. Katrina öffnete erstaunt den Mund.
»Wir müssen die Zeichnungen immer ein Jahr im Voraus fertigstellen«, erklärte Hermann. »Meister Tassilo und ich werden zeitlich in Bedrängnis kommen, wenn wir nicht bald Unterstützung erfahren.«
»Beim Zeichnen?«, wiederholte Uta. »Aber der Gatte möchte nicht, dass ich …« Sie hielt inne, als sie Hermann nicken sah.
»Mein Bruder hat dem bereits zugestimmt«, erklärte er. »Er möchte die Kathedrale ebenfalls so bald als möglich fertiggestellt wissen.«
»Er lässt mich Pläne zeichnen«, sagte sie leise vor sich hin und drehte sich zu dem Grundriss an der Wand um. Als sie den Käfer darauf erkannte, lächelte sie und fuhr einmal mehr von der Zartheit und Symmetrie der Linien hingerissen, das Leder mit den Fingerkuppen ab.
Meister und Markgraf beobachteten sie fasziniert und wagten nicht, sie in ihrer Verzückung zu unterbrechen. Nach einem Augenblick der Stille meinte Uta schließlich: »Ihr traut mir diese Fähigkeiten zu?«
»Wenn Ihr das Zeichnen genauso schnell lernt wie alles andere«, nickte Tassilo, »werden wir recht bald die erste gute Zeichnung vorliegen haben.«
Gebannt verfolgte Katrina das Gespräch.
»Dann muss ich Formen und Maße lernen, die notwendig sind, um die Zeichnungen so zu erstellen, dass Ihr sie wirklich verwenden könnt, Meister«, entgegnete Uta und fühlte sich darin bestärkt, dass ihre Pflicht nicht nur darin bestand, still in ihrer Kammer oder über Rechnungsbüchern zu sitzen und einen Erben zu gebären.
»Alles Notwendige werden wir Euch rasch lehren«, sagte Hermann, und Tassilo schlug auf Utas freudiges Nicken hin vor: »Dann lasst uns ab morgen jeden Tag nach der Frühmahlzeit hier zusammenkommen. Zuerst besprechen wir mit den Gewerkmeistern die anstehenden Probleme, danach gehen wir die Planungen durch. Anschließend weise ich Euch in die Praxis des Bauzeichnens ein. Ein weiterer
Weitere Kostenlose Bücher