Die Herrin der Kathedrale
Seelenheil zu gefährden, überhaupt einem anderen Mann hingeben? Uta drehte den Kopf und blickte zum Fenster.
Als sie eine große Rauchwolke am Himmel stehen sah, ließ sie den Federkiel fallen und trat näher ans Fenster. Überrascht schaute sie in den mit einem Mal menschenüberfüllten Haupthof hinab und hörte Schreie. Sofort raffte sie ihr Gewand und stürzte die Treppen des Wohngebäudes hinab. Mit pochendem Herzen drängte sie sich mit den anderen Burgbewohnern in Richtung der Baustelle. Ein deutlicher Brandgeruch und ein starkes Knistern wiesen den Weg zum Feuer. Entsetzt blickte Uta zu den lodernden Flammen hinauf, die vom Dach des Ostchores aufstiegen. Plötzlich spürte sie, wie eine Hand nach der ihren griff. Katrina! Sie zog das Mädchen zu sich heran und ließ sich dann mit ihm zusammen von der Menschenmenge bis zur Burgkirche schieben.
In den starken Rauchschwaden, die sich nicht nur durch herabgestürzte Dachbalken, sondern auch durch alles Brennbare auf dem Boden gebildet hatten, meinte Uta, Geselle Matthias zu erkennen, der geistesgegenwärtig Anweisungen gab. »Schnell Männer, bildet zwei Ketten, um Eimer mit Wasser durchzureichen! Das Dach des Chores können wir nicht retten, dort können wir nicht mehr hoch. Aber wir müssen verhindern, dass das Feuer auf die umliegenden Häuser und Stände überspringt. Der Wind peitscht die Flammen nach Süden. Reicht die Eimer auch auf den Dachumlauf der Marienkirche hinauf.« Matthias begann zu husten, sprach aber weiter. »Die erste Schutzkette bilden wir vom Brunnen der Hauptburg bis zu den Unterständen für das Baumaterial an der Nordmauer. Die zweite Kette soll vom Brunnen in der Vorburg«, er wies hinter den Werkstand der Zimmerer, »bis zur Marien-Pfarrkirche gehen!«
Um Uta und Katrina herum setzte Gewusel ein. Aufgescheuchte Hühner und Schweine mischten sich unter die Menge und schürten mit ihrem erschreckten Gequieke Aufregung und Angst. Während sich die beiden Wasserketten bildeten, schaute Uta zu den lodernden Flammen des Daches hinauf. »Heilige Plantilla, beschützt die Menschen hier«, betete sie inbrünstig.
»Vitruvs Polyspastos!«, rief da Katrina, deren Gesicht vom Qualm bereits geschwärzt war. Sie deutete auf den Kranarm, hinter den halbhohen Mauern des südlichen Langhauses.
»Der brennt wie Zunder!«, riefen einige neben ihnen, die durch Katrinas Fingerzeig ebenfalls auf den Polyspastos aufmerksam geworden waren.
»Schneller, wir brauchen mehr Wasser!«, kamen Schreie aus der anderen Richtung.
Utas Blick folgte dem Feuer, das nun gierig die Gerüste an den Außenmauern des Ostchores verschlang und sie nach und nach zusammenbrechen ließ. Dann sah sie, wie die Flammen plötzlich nach oben schossen und eine Funkenwolke nach Süden in Richtung von Ernas Schmiede trieben. Inzwischen waren die Menschenketten im Vorhof unermüdlich dabei, Wasser zu den Brandherden durchzureichen, während die Löschhelfer jeden Eimer, der verfügbar war, ja sogar jede Suppenschüssel und jeden Topf immer wieder neu mit Wasser füllten. Ein jeder wollte mit anfassen, niemand floh vor dem immer wieder niedergehenden Feuerregen.
Nachdem das gesamte Holz verbrannt war, erlosch das Feuer allmählich. Der Chor, der eben noch ein einziges Flammenmeer gewesen war, wurde nun von dichten Rauchschwaden umhüllt. Der Übertritt des Feuers auf das Langhaus hatte verhindert werden können.
Hermann!, durchfuhr es Uta da. Hatte er ihr vorher nicht noch gesagt, er wolle mit Meister Tassilo eine letzte Prüfung des Daches vornehmen? Augenblicklich ließ sie Katrinas Hand los und drängelte sich durch die Menschenmenge hindurch zum Eingang des Gotteshauses.
Während draußen Gebete erklangen und Kommandos gebrüllt wurden, war es im Inneren der Kathedrale still. Uta tat zwei Schritte zur Mitte des Langhauses. Als weder Hermann noch Tassilo irgendwo zu sehen war, erfasste sie tiefer Schmerz. Darüber hinaus bot sich ihr ein Bild der Zerstörung: ein Gewirr aus verkohlten Holzteilen. Sie blickte am Mauerwerk des Ostchores hinauf. Doch die größte Befürchtung jedes Werkmeisters – der Einsturz – war nicht eingetreten. In den Schuttbergen auf dem Boden um den Altar herum gab es noch einzelne Brandnester. Erschöpft wischte sie sich die feuchte Stirn, der Schleier hing ihr am Hinterkopf, einzig die grüne Spange über dem rechten Ohr hielt den Stoff noch am Haar. Die Eheklammer musste sie im Gedränge verloren haben.
In Begleitung des Bischofs betrat Ekkehard
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