Die Herrin der Kathedrale
ich um dich werben.«
»Freigeben?«, wiederholte Uta irritiert.
»Ich spüre, dass du es auch willst«, sagte Hermann und blickte sie erwartungsvoll an.
»Gibt es denn wirklich eine Möglichkeit, ohne Sünde miteinander leben zu können?«, beeilte sie sich zu fragen und zog den Kopf aus seinen Händen.
»Bitte nimm dir Zeit, darüber nachzudenken«, bat er gefasster. Im Rausch der Verliebtheit war er einzig seinem Verlangen gefolgt. »Wenn wir beide es wollen, findet sich ein Weg.« Uta hob ihren Blick und erwiderte sein zärtliches Lächeln. Dann ergriff sie seine Hand und legte sie an ihre Wange.
So standen sie lange ohne ein weiteres Wort, bis sich der Vollmond klar von der Schwärze der Nacht abhob. Als sie auf die Kryptatreppe zutraten, streckte Hermann ihr die leicht geöffnete Hand entgegen. Und Uta schmiegte die ihre noch sehnsuchtsvoller als bei allen bisherigen Treffen in die seine. Im Erdgeschoss der Burgkirche lösten sie wie immer die Hände voneinander.
»Ich will noch sehen, ob Meister Tassilo mit der Prüfung der Aussteifungsbalken fertig geworden ist«, erklärte Hermann, nachdem er Uta noch bis vor das Wohngebäude geleitet hatte, und ließ sich von den Wachhabenden einen Kienspan reichen.
»Damit es morgen während der Messe nicht zu unerwünschten Zwischenfällen kommt.«
Uta nickte.
» Dies diem docet , Uta von Ballenstedt«, sagte Hermann leise und schritt in Richtung der Vorburg. »Dies diem docet, Hermann von Naumburg«, hörte er sie erwidern und fühlte sich darin bestätigt, sie keinen einzigen Augenblick mehr an seiner Seite missen zu wollen.
Überschwenglich betrat er die Kathedrale durch den Eingang an der südlichen Langhauswand. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging er auf den Ostchor zu. Als er meinte, in der Nähe des Altars eine Stimme zu hören, spähte er flüchtig in die nächtliche Schwärze des Chores, wischte aber den unleidlichen Gedanken an Bischof Hildeward sofort beiseite.
»Meister Tassilo?« Hermann leuchtete hinauf. »Seid Ihr da?«
»Ich bin hier, beim zweiten Tragbalken«, entgegnete Tassilo, trat an die Steighilfe und leuchtete hinab.
»Ich komme zu Euch hinauf«, erklärte Hermann, verlor sich dann aber erneut in Gedanken. Trotz der Tatsache, dass Uta seine Frage nicht sofort bejaht hatte, fühlte er sich erleichtert. Es waren ihre Gesten gewesen, die ihm die Angst über den ungewissen Ausgang seines Anliegens genommen hatten. Noch immer konnte er ihr Gesicht in seiner Hand spüren.
»Kommt Ihr, Markgraf?«, hörte er Tassilo da rufen.
Mit einem zärtlichen Lächeln, als stände sie noch immer mit leuchtenden Augen vor ihm, löste sich Hermann aus seinen Gedanken. »Ich bin unterwegs, Meister!«, rief er, klemmte den Span in seiner Hand in eine der schmiedeeisernen Halterungen, die für die morgige Messe angebracht worden waren, und stieg die hölzernen Sprossen hinauf.
Tassilo begrüßte ihn mit einer freudigen Botschaft: »Der Kniestock ist nun ganze fünf Fuß breit. Genau wie auf unseren Zeichnungen.« Er reichte Hermann seinen Span und deutete auf ein Pergament zu ihren Füßen, das neben einer Vielzahl anderer Zeichnungen lag. »Auch die Aussteifungsbalken habe ich bereits vermessen. Sie wurden exakt nach unseren Vorgaben verstärkt.«
»Sehr gut.« Hermann leuchtete in Richtung der vollständig aufgestellten Binder. »Damit sollte für morgen, wenn der Schleier in seine neue Schatulle niedergelassen wird, alles bereit sein. Die Kämpfer haben es sich verdient.«
Vielleicht sollte sie besser versuchen, ihren Herzschlag etwas zu beruhigen, indem sie ein Schreiben aufsetzte? Uta schob die Liste mit den Speisewünschen des Hofstaates für das kaiserliche Weihnachtsmahl beiseite und blickte auf ein weiteres Pergament auf ihrem Pult. Das Bittschreiben über das ausstehende Marktrecht, von dem sie wünschte, dass es die Kaiserin noch erreichte, bevor sie aus Burgund in Naumburg eintreffen würde, enthielt gerade einmal einen einzigen, nichtssagenden Satz. Auch musste sie auf die Briefe Wipos und ihres Bruders Wigbert antworten – doch die Sicherstellung der Wintervorräte für den kaiserlichen Hof, der sich mit zweihundert Personen angekündigt hatte, sowie die Versorgung des Heeres hatten zuletzt all ihre freie Zeit verschlungen.
Uta zog ein leeres Pergament hervor und nahm den Federkiel auf. »Ach Wigbert, Bruder, es sind so viele, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen.« Jäh ließ sie das Schreibgerät sinken. Durfte sie sich, ohne ihr
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