Die Herrin der Kathedrale
bin«, erklärte sie und strich den Kindern über die Köpfe. »Arnold, wir sehen uns morgen zur Messe«, ergänzte sie, als sie bereits an der Tür war, und trat dann aus der Schmiede. Sie hatte selten Kinder erlebt, die in diesem Alter bereits einen solch großen Wortschatz besaßen.
Der Weg zum Wohngebäude in der Hauptburg führte Hazecha an arbeitenden Handwerkern vorbei, von denen sich einige lautstark Anweisungen zuriefen. Andere liefen geschäftig über den Platz, wieder andere zogen Bretter hinter sich her oder schoben Karren mit Steingut an ihr vorbei.
»Utas Kathedrale!«, hauchte sie ergriffen, als sie an der Marien-Pfarrkirche vorbei vor der Kathedrale angelangt war, deren Mauerwerk den Bau wie die Flügel einer Fledermaus zu umspannen schien. »Ein wirklich mächtiges Gotteshaus!«
»Wartet erst, wenn Ihr das Innere seht!«, sagte ein Steinmetz, der mit einem Bündel Werkzeugen gerade auf dem Weg dorthin war.
»Sagt, Herr, wie gelange ich zu Uta von Ballenstedt?«, rief sie dem Mann hinterher.
»Die Gräfin ist in Balgstädt und hat ihre Rückkehr erst für die Zeit nach Sonnenuntergang angekündigt, Schwester«, entgegnete er freundlich und hielt auf eine Öffnung in der Mauer des Bauwerks zu. »Ich fürchte, Ihr müsst Euch daher bis morgen gedulden, außer, Ihr wollt Euer Anliegen Graf Ekkehard vortragen«, meinte er noch, bevor er hinter der Mauer verschwunden war.
Bis morgen gedulden? Hazecha wollte weder so lange warten noch ihr Anliegen dem Schwager vortragen. Stattdessen nahm sie sich vor, die Schwester nach Sonnenuntergang am Tor zur Hauptburg abzupassen, womit ihr noch etwas Zeit blieb, das Wunderwerk der Kathedrale genauer zu betrachten. Im nächsten Augenblick richtete sie ihre Aufmerksamkeit auch schon auf den Ostchor, dessen Mauern in luftiger Höhe von einer Vielzahl von Holzgestellen umspannt waren und der bereits ein Dach besaß.
Wie magisch angezogen betrat sie das Innere, und sofort fiel ihr Blick auf ein riesig anmutendes Gerät mit einem langen Arm, der in den Himmel zu ragen schien und an dessen Ende ein hölzerner Balken hing. Hazecha hörte jemanden Kommandos rufen, und ihr Blick glitt den sagenhaften Arm wieder zurück zur Erde, wo in einem ebenerdigen Rad zwei Männer liefen und angestrengt schnaubten.
»Schwester!«, ertönte da eine Stimme hinter ihr. Hazecha drehte sich um und sah einen grobschlächtigen Mann mit hängendem Kinn auf sich zukommen.
»Ihr solltet nicht auf der Baustelle umherlaufen, während gearbeitet wird. Das ist gefährlich. Besonders wenn es dunkel wird«, mahnte er und wies auf die einsetzende Dämmerung am Himmel.
Hazecha nickte. »Verzeiht, aber es muss der Herrgott gewesen sein, der mich hierhergeführt hat.«
»So ergeht es nicht nur Euch, Schwester.« Auf dem Gesicht des Mannes machte sich ein freudiger Ausdruck breit. »Aber bitte geht nicht zu nahe an die Baugerüste oder an den Radkran. Erst vor kurzem wurde ein Pilger von einem herunterstürzenden Mörteltrog erschlagen. Und unser Tragbalken da«, er zeigte auf das lange Holz am Ende des Kranarmes, »der auf dem Dach mit weiteren Balken zu einem Binder zusammengesetzt wird, erwischt schon ab und an gleich zwei Menschen auf einmal.«
»Schmied Werner, das Essen steht auf dem Tisch. Schluss für heute«, rief da ein junger Mann zu ihnen herüber.
Der Schmied blickte daraufhin zum Dach des Ostchores hinauf, wo Tassilo gerade einen Aussteifungsbalken prüfte. »Der Meister wollte mich noch sprechen. Aber was soll’s!«, entschied er, nachdem ihm schon der Magen knurrte. »Morgen ist auch noch ein Tag. Ich werde ihn gleich nach Sonnenaufgang darauf ansprechen. Es wird bald Nacht. Also, seid vorsichtig, Schwester«, wandte sich der Schmied noch einmal an Hazecha und verließ dann die Kathedrale.
Hazecha blickte sich um und sah, wie auch die anderen Gewerke ihre Arbeit für heute beendeten. »Habt Dank für Euren Hinweis«, rief sie dem Mann noch hinterher und legte ihre Kapuze zurück. Es dauerte nicht lange, bis auch alle anderen Handwerker die Baustelle verlassen hatten. Pilger waren ebenfalls nicht mehr zu sehen. Hazecha war allein und trat schon im nächsten Moment neugierig in den Ostchor. Sie fasste ihr Gewand, wie sie es früher auf den Blumenwiesen um Burg Ballenstedt herum getan hatte und drehte sich unbeschwert im Kreis. Nach ein paar Runden blieb ihr Blick erneut staunend am Dach des Ostchores hängen. Solch ein hohes Gotteshaus hatte sie noch nie zuvor gesehen, geschweige
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