Die Herrin der Kathedrale
»Wir wollen die Verstorbenen ohne Zaunvolk bergen.«
Im nächsten Moment betraten Schwester Margit und Äbtissin Notburga gefolgt von zwei weiteren Benediktinerinnen die Kathedrale. Sofort lief Margit auf Uta zu, deren Gesicht leichenblass geworden war, und nahm sich ihrer an. Die beiden Benediktinerinnen luden derweil Hazechas leblosen Körper auf eine der mitgebrachten Bahren.
»Wie konnte das Feuer nur ausbrechen?«, fragte Bischof Hildeward und trat mit verschränkten Armen vor Hermann.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete der, während sein verzweifelter Blick auf Uta ruhte, die andauernd Hazechas Namen vor sich hin sagte.
»Meister Tassilo und ich waren oben auf dem Dach, um nochmals die Aussteifungsbalken zu prüfen, damit keinerlei Gefahr für die morgige Messe besteht«, begann Hermann unruhig zu erklären, und trat vor den schmiedeeisernen Spanhalter an der Chorwand. »Meinen Span hatte ich zuvor hier hineingesteckt.«
Notburga hatte sich zuerst nicht entscheiden können, ob sie ihre Aufmerksamkeit der gebrochenen Ballenstedterin auf dem Boden oder lieber dem Gespräch zwischen Markgraf und Bischof zuwenden sollte. Nun schob sie sich durch die Gewerkmeister hindurch und trat wichtigtuerisch vor Bischof Hildeward. »Verzeiht, Euer Exzellenz, aber wie es aussieht«, sie tippte an die Halterung, »ist diese Spanhalterung lose. Vielleicht, und die Betonung liegt dabei auf vielleicht, Markgraf«, fuhr Notburga anmaßend fort, »habt Ihr ja vergessen, den festen Sitz der Halterung zu überprüfen, so dass Euer Span herausrutschen konnte und damit den verheerenden Brand verursacht hat.«
Hermann wurde nachdenklich. Konnte es sein, dass er den Brand verursacht hatte, weil er in seiner Verliebtheit einen Moment lang nicht aufmerksam genug gewesen war und die lockere Halterung übersehen hatte?
»Bruder!«, trat Ekkehard erschrocken vor.
Hermanns Blick glitt zu den zwei Benediktinerinnen, die im Begriff waren, Tassilos Leichnam auf eine Bahre zu legen. Dann schaute er zu Uta, die sich von Schwester Margit gestützt gerade erhob. Für den Bruchteil eines Lidschlags trafen sich ihre Blicke.
Dann schloss sie die Augen.
Schuldbewusst senkte Hermann den Kopf. »Das ist nicht auszuschließen. Ich werde dafür sühnen«, sagte er mit feuchten Augen in Utas Richtung und verließ die Kathedrale.
»Nein!«, rief Uta noch einmal, als sie Hazechas Gesicht unter einer Decke auf der Bahre verschwinden sah. Hazecha durfte nicht von ihr gehen! Sie waren doch die Töchter der Hidda von der Lausitz, die niemand trennen durfte! Auf wackeligen Beinen ließ sie sich von Schwester Margit vor die Bahre führen. Zärtlich strich sie der Schwester über die Wangen. Als die Fingerkuppe ihres Zeigefingers den kleinen Fleck unter Hazechas linkem Auge berührte, verlor sie kurz das Bewusstsein, so dass Schwester Margit sie erneut stützen musste. Begleitet von einem Tränenstrom legte sie Hazecha die Wachspuppe stumm auf die Brust und faltete deren Hände darüber. »Du bist ein Teil von mir. Mit dir geht ein Stück meines Herzens.«
Schwester Margit stimmte ein Gebet an, in das die Versammelten mit einfielen. Von Decken verhüllt wurden die Toten schließlich hinausgetragen.
Bald werden Esiko und ich es geschafft haben, die Ballenstedterin niederzuringen, dachte Notburga und schaute dem Leichenzug zufrieden hinterher. Wie sehr ihr dieser Brand doch gelegen kam. Ihren Liebhaber würde es auch erfreuen. Graf Esikos Sieg würde auch ihr Triumph sein. Notburga erbebte vor Wollust bei dem Gedanken daran, wie ihr der mächtigste aller Heerführer seine Dankbarkeit beweisen würde. Gleichzeitig mahnte sie sich jedoch zur Vorsicht. Zu offen durfte sie ihre Abneigung gegen die Ballenstedterin auch jetzt nicht zeigen.
»Solange der Chor unter Asche liegt, verbleibt der heilige Schleier in meiner Obhut«, ergriff Bischof Hildeward noch einmal das Wort. »Die morgige Messe wird ersatzweise in der Marien-Pfarrkirche gelesen.«
Der Himmel spannte sich wie ein dunkelgraues Zelt über dem Burgberg. Arnold blickte besorgt nach oben, umfasste Ernas Schulter und trat mit ihr aus der Schmiede. An Ernas linker Hand lief Luise, die wiederum Selmina festhielt.
Der Hof der Vorburg war sowohl mit Arbeitern wie mit Bewohnern dicht gefüllt und dennoch seltsam still. Die Familie des Burgkochs mischte sich unter die stumme Menge, die auf die Marien-Pfarrkirche zuhielt, um nach der Messe zu Allerheiligen, die aus Platzgründen den Kämpfern vorbehalten
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