Die Herrin der Kathedrale
aus, um deren Inhalt noch einmal zu überfliegen. Wie interessant das Gespräch doch gewesen ist!, ging es ihr durch den Kopf. Sie hatte einiges über Reichspolitik erfahren, darunter auch, dass der Markgrafensohn anscheinend um sein Recht gebracht worden war, und erlebt, wie selbstsicher und gleichzeitig doch feinfühlig die Herzogin ihre Interessen gegenüber den – der Herrgott mochte ihr diesen Ausdruck verzeihen – beiden bissigen Äbtissinnen vertreten hatte. Gisela von Schwaben war selbst dann noch ruhig geblieben, als die Äbtissinnen aufgefahren waren. Es musste lange nach Mitternacht sein, als Uta sich erhob und die Tür der Schreibstube leise ins Schloss zog. Sie liebte die Ruhe der ersten Morgenstunden, in denen die meisten Menschen noch im Bett lagen und schliefen. Den Schlüssel legte sie, wie mit Schwester Jelenka besprochen, unter die lose Diele neben der Tür.
Uta betrat den Felsenkeller und entdeckte Notburga, die sich auf ihrem Bett über einen Stapel Pergamente beugte. »Ihr seid noch wach?«
»Ich habe zu arbeiten«, verkündete Notburga. »Schließlich erwarten die Äbtissinnen und die Herzogin mein Protokoll in bester Schrift.« Von der Aussicht auf die herzogliche Bewunderung beflügelt schoss Notburga hoch, so dass ihre Pergamente von der Bettstatt stoben. Den argwöhnischen Blick auf Uta gerichtet, stürzte sie sich auf das Durcheinander, als ob es einen Schatz zu hüten galt.
»Wartet, ich helfe Euch«, bot Uta an, bückte sich und griff nach den Bögen, die mit Klecksen und Streichungen übersät waren.
»Wagt nicht, meine Schriften anzufassen!« Notburga raffte ihre Pergamente eilig vor der Brust zusammen und drehte Uta dann abrupt den Rücken zu.
Zuerst zögerte Uta noch, doch schließlich wagte sie den Versuch. »Schwester Notburga?«
Überrascht drehte sich die Angesprochene zu ihr um. »Was ist denn noch?«
»Ich dachte mir«, begann Uta und schaute vom sehnigen Hals zum Gesicht des Mädchens, das sie um einen ganzen Kopf überragte, »ich dachte mir, dass Ihr eventuell Eure Mitschriften mit meinen Pergamenten abgleichen möchtet. Ich habe sämtliche Gesprächsinhalte des heutigen Tages notiert.« Tatsächlich hatte sie, als Notburga die ersten Seufzer ausgestoßen und den ersten Federkiel zerbrochen hatte, damit begonnen, nicht nur das, was sie musste, sondern auch alles andere, was gesprochen wurde, aufzuzeichnen. Das war kurz nach der Begrüßung der Herzogin gewesen.
Für die Dauer eines Herzschlages flackerte es in Notburgas Augen.
»Wieso sollte ich das?«, entgegnete sie scharf und vermochte dennoch nicht, ihren Blick von den ihr angebotenen Pergamenten abzuwenden.
Notburga wird sich nie ändern, nicht einmal in diesem mystisch berauschenden Quedlinburg, dachte Uta. Aber selbst in solch einer Situation hätte die Herzogin wahrscheinlich nicht so schnell aufgegeben.
Und so streckte Uta Notburga die Hand mit den Pergamenten weiterhin entgegen: »Natürlich nur zur Sicherheit.«
Notburga fixierte Uta und straffte sich schließlich. »Eine Kontrolle meiner Protokollierung ist sicherlich nicht notwendig!«
»Ich weiß«, besänftigte Uta sie in jenem ruhigen Ton, den sie bei der Herzogin vernommen hatte, und versuchte sich an einem ermutigenden Lächeln.
Falten tauchten auf Notburgas Stirn auf. »Gut!«, sagte sie schließlich. »Schaden kann es jedenfalls nicht. Außerdem werde ich die Gelegenheit nutzen, Eure Mitschrift zu prüfen.« Daraufhin entriss sie Uta die Aufzeichnungen und begab sich zu Bett.
Auch Uta ließ sich erschöpft auf ihrem Lager nieder. »Die Herzogin wird meine Schrift bewundern«, sagte die Hildesheimerin noch und schloss die Augen, um sich endlich in die prächtigen Gewänder und den Goldschmuck einer Herrscherin hineinträumen zu können.
»Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Schwester Notburga.« Uta blickte zufrieden zur Felsendecke hinauf. Es war noch nicht so glatt wie bei Gisela von Schwaben gelaufen, aber immerhin hatte Notburga ihr Angebot angenommen.
Auch den zweiten Tag verbrachten die Äbtissinnen mit der Herzogin in Gesprächen. Sie waren inzwischen bei den Einzelheiten möglicher Zugeständnisse an die weltlichen Fürsten des Reiches angelangt. Auch an diesem Tag war Uta in gleicher Weise mit der Gesamtprotokollierung und der Übergabe ihrer Mitschriften an Notburga verfahren. Für den dritten Tag, an dem die Schreiberinnen von ihrer Pflicht befreit worden waren, hatte sich die Herzogin einige Zeit der Ruhe erbeten.
»Die
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