Die Herrin der Kathedrale
bitteren Geschmack, den die Erinnerung an den wollüstigen Übergriff in ihr aufkommen ließ, hinunter und schrieb weiter.
»Ihr wisst, dass der erlauchte Kaiser dafür seine Gründe hatte«, verteidigte Äbtissin Adelheid nun in harscherem Ton ihren Auftraggeber. »Herzog Boleslaw hatte die Mark nach dem Tode Markgraf Ekkehards besetzt und forderte, dass niemand anders als Hermanns Onkel neuer Lehnsherr würde. Unserer kaiserlichen Hoheit waren die Hände gebunden.«
»Und das, obwohl Hermann von Naumburg mit seiner Mutter schon nach Meißen gezogen war, um das Erbe zu übernehmen?«, entgegnete die Herzogin höflich, aber bestimmt. Adelheid begriff die Gefahr, die in der Verbindung der mächtigsten Markgrafenfamilie des Reiches mit der kaiserlichen Opposition lag. Bisher waren die Ekkehardiner dem Kaiser treu ergeben gewesen und hatten für ihn die Ostgrenze gesichert. Eine Hinwendung der Familie zu den Gegnern des Kaisers vermochte diesen empfindlich zu treffen. Sicherlich wäre es nur eine Frage der Zeit, bis der übergangene Hermann von Naumburg sein Erbe einfordern würde. »Nun gut«, sagte sie dann. »Wir werden dem Kaiser Euren Wunsch zu bedenken geben, Hoheit.«
Herzogin Gisela lächelte einnehmend. »Dafür bin ich Euch zu tiefem Dank verpflichtet.«
»Dann erlaubt mir, Euch nun zu einem stärkenden Mahl einzuladen, Hoheit. Ich habe in meinen Privatgemächern auftragen lassen.« Adelheid erhob sich und ergriff ihr Lilienszepter. Äbtissin Sophie und Herzogin Gisela folgten ihr.
»Notburga, Uta!«, wandte sich Äbtissin Adelheid noch einmal um. »Ich wünsche Eure Protokolle am dritten Tag auf meinem Tisch. Und zwar lesbar. Fehler dulde ich nicht, nicht bei derart wichtigen Angelegenheiten!«
Notburga hatte sich gerade den Löschsand vom Obergewand geputzt und sah nun auf, um den Äbtissinnen und der Herzogin ein breites Lächeln zu schenken. Uta nickte nur.
»Esst Ihr mit den anderen Schwestern im Speisesaal!«, befahl Äbtissin Adelheid und wandte sich daraufhin wieder ihren beiden Gästen zu.
»Dass Ihr Euch nicht übermüdet, Schwester. Ich gehe jetzt zu Bett«, sagte Monika und trat vor Utas Lesetischchen. »Darf ich Euch etwas von meiner besonderen Tinte nach Gernrode mitgeben?«
Uta lächelte das Mädchen, das ungefähr in ihrem Alter sein musste, an. »Sehr gerne, das ist sehr freundlich von Euch.« Die Offenheit der Schwestern in der Schreibstube, die ihr sofort die Bücherkisten gezeigt hatten, tat ihr gut. Sie fand, dass der zwischen den Sanctimonialen und auch ihr gegenüber herrschende freundliche Umgangston das Stift Quedlinburg zu einem wohltuenden Ort machte.
Hedwig kam hinzu. »Schwester Uta, Ihr solltet unbedingt Schwester Monikas rote Tinte probieren. Sie leuchtet wie die glühende Sonne«, bekräftigte die Schwester, die ihr Haar über den Ohren zu Schnecken geflochten hatte und im nächsten Moment ein Gähnen nicht zurückhalten konnte.
»Ruhe bitte!«, mahnte Schwester Jelenka aus der Ferne, die an diesem Abend die Aufsicht in der Schreibstube innehatte und Uta mit Pergamenten zur Heilkunde versorgt hatte.
»Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Schwestern«, sagte Uta leise.
»Wir Euch auch.« Zwei Glöckchen klingelten und die Sanctimonialen verließen die Schreibkammer.
Uta hatte das zweite von insgesamt sieben Büchern einer Medizinsammlung vor sich liegen. »Die Asche der gebrannten Flusskrebse, in der Gabe von zwei Löffeln und einem Löffel Enzianwurzel mit Wein drei Tage hindurch getrunken, hilft kräftig den vom tollen Hunde Gebissenen«, flüsterte sie, um sich das Gelesene gut einzuprägen. Dabei versicherte sie sich mit einem Seitenblick, dass sie auch wirklich niemand mit ihren leisen Worten belästigte. »Mit gekochtem Honig heilt die Tinktur Risse an Füßen und Händen, Frostbeulen und Geschwüre. Roh zerrieben und mit Eselsmilch genommen, hilft sie bei Schlangen-, Spinnen- und Skorpionbissen.« 5 Uta blätterte zum Pergament mit dem Titel des Buches zurück. Von der Materie der Medizin hieß das Werk. Das Mutterstift hütet einen wahren Schatz an heilkundigem Wissen, befand sie. Dass so viele Tiere gute Heilmittel abgaben, würde für Alwine sicherlich neu sein. Das Buch enthielt mehr als zweihundert ungewöhnliche Rezepte und stellte einen wahren Fundus an Geheimnissen dar. Zurück in Gernrode würde sie Alwine das Gelesene haarklein wiedergeben.
Befriedigt nahm Uta ihre Mitschriften auf, die sie unter ihrem Hocker abgelegt hatte, und breitete sie vor sich
Weitere Kostenlose Bücher