Die Herrin der Kathedrale
Bewegung und ihr Federkiel ungewöhnlich laute Kratzgeräusche machte, die davon zeugten, dass sie ihr Schreibgerät zu fest aufs Pergament drückte.
Herzogin Gisela fuhr, an beide Äbtissinnen gewandt, fort:
»Die Herzöge und Grafen erhalten durch diese Verfassung Wehrhoheit, Finanz- und Verwaltungshoheit sowie die Verantwortung über eine eigenständige Gerichtsbarkeit.« Äbtissin Adelheid fuhr erregt über solch eine unverschämte Forderung auf. »Ihr sprecht von Aufgaben, die seit Jahren vom Klerus wahrgenommen werden, Hoheit.«
»Dessen sind wir uns durchaus bewusst«, bestätigte Herzogin Gisela in ruhigem Ton und strich sich weiter über den Leib. »Die Herzöge sehen in der derzeitigen Machtverteilung ein Ungleichgewicht. Wir sollten bedenken, dass sie in den königlichen Kämpfen die Mehrzahl der Berittenen stellen.« Die Herzöge fühlen sich nicht wertgeschätzt, dachte Uta. Wie ruhig Gisela von Schwaben den beiden Schwestern doch entgegentrat. Es lag keine Spur von Nervosität in ihrer Stimme. Sie wirkte entspannt, obwohl das Ansinnen, das sie hier vortrug, die zukünftige Ordnung und Machtverteilung im gesamten Reich betraf. Uta verfolgte, wie Äbtissin Sophie ihre Schwester auf den Stuhl zurückzog und danach fragte: »Und was meint Ihr, wie wir die Herzöge vielleicht etwas pragmatischer besänftigen könnten, Hoheit?«
»Mein Gatte äußerte zuletzt die Vorstellung, ohne zwischengeschaltete Bischofsverwaltung zu regieren. Zumindest was die Wehrhoheit angeht.«
Äbtissin Adelheid schien angestrengt zu überlegen.
»Zudem möchten wir den Kaiser um die Rücknahme seiner Vorwürfe bitten«, fügte die Herzogin hinzu.
Äbtissin Sophie nickte. »Dieser Wunsch ist dem Kaiser wohl bekannt. Denkt aber an die Regel des Ad usque ad septimam generationem und das gültige Kirchenrecht, demzufolge eine Ehe unter Verwandten bis zum siebten Grad, also bis zur siebten Generation nicht erlaubt ist!«
Als Schülerin Hathuis kannte Uta die Formulierung des ad usque ad septimam generationem. Eine einheitliche Auffassung, ob mit generationem ein Zeugungsschritt oder eine Generation gemeint war, ging aus den Quellen aber ebenso wenig hervor wie die Tatsache, ob bei der Zählung die Elterngeneration bereits als ein Verwandtschaftsgrad mit zu berücksichtigen war. Aus dem Augenwinkel sah Uta, wie Notburga mit dem Handrücken immer wieder über eine Stelle auf ihrem Pergament wischte und dabei leise vor sich hin fluchte.
»Der Kaiser hält sich damit nur an geltendes Recht, wenn er Eure Ehe im dritten Verwandtschaftsgrad für sündig erklärt«, legte Äbtissin Adelheid dar und versuchte sich an einem versöhnlichen Lächeln. Ganz als ob sie selbst für diesen Vorwurf nichts könne, sondern es einzig und allein das Recht wäre, das Gisela von Schwaben in die Schranken wies.
»Die Heilige Schrift spricht nur von Sünde bei einem unmittelbaren Verwandtschaftsgrad mit der Schwester oder der Tochter«, entgegnete die Herzogin. »Den Herzog und mich verbindet jedoch als erster gemeinsamer Vorfahre der ostfränkische König Heinrich I.«
»Das sieht unsere Durchlaucht Kaiser Heinrich II . anders«, konstatierte Äbtissin Sophie.
Uta verstand das alles nicht. Wie konnte die Heilige Schrift nur so unterschiedlich ausgelegt werden? Und wenn es tatsächlich mehrere Auslegungen gab, gab es dann etwa auch mehrere gültige Gesetze für einen einzigen Sachverhalt?
Herzogin Gisela setzte erneut an, sich über den Leib zu streichen. Noch langsamer, noch beruhigender, als sie es bereits getan hatte. »Mein Gatte könnte sich durchaus vorstellen, die Opposition zu besänftigen«, sagte sie. »Sofern der Kaiser seine Vorwürfe gegen unsere Ehe zurücknimmt. Erst neulich trafen wir Hermann von Naumburg zu einem vertraulichen Gespräch. Ich denke mir, dass er sich nach dem Tode seines Vaters durch die Vergabe der Markgrafenwürde an seinen Onkel vom Kaiser übergangen fühlen könnte.«
Uta horchte auf. Der alte Meißener Markgraf war verstorben? Deutlich trat ihr das Bild des Grafen Ekkehard wieder vor Augen, der ihr damals beim Gastmahl des Vaters auf der Ballenstedter Burg begegnet war. Dann verwandelte sich sein Gesicht in das seines Sohnes, der ebenfalls als Gast gemeinsam mit der Jagdgesellschaft den Überfall des Knappen im Forst mitbekommen hatte. Hermann von Naumburg war der Einzige gewesen, der damals den tatsächlichen Hergang des Geschehens geahnt oder zumindest zu hinterfragen versucht hatte. Uta schluckte den
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