Die Herrin der Kathedrale
verabschieden.
Notburgas Blick glitt über das flache Gesicht der Mitschwester und über deren streng zurückgekämmtes Haar. Mit einem überheblichen Grinsen nickte Notburga und beschleunigte ihren Schritt.
Im Versammlungssaal herrschte andächtige Stille. Unter den bereits Anwesenden erblickte sie Uta, die sich gerade flüsternd mit einer der hiesigen Sanctimonialen unterhielt und ein Schälchen von ihr entgegennahm. Notburga stellte sich weit vor die Mädchen hin, den Blick auf die Tür gerichtet.
Äbtissin Adelheid und Äbtissin Sophie betraten den Saal gemeinsam. »Bitte Aufstellung, Schwestern!«, rief die Letztere und wies die Sanctimonialen an, zwei Reihen zu bilden. Sie befahl Notburga vor Uta ans Ende der hinteren Reihe. Der Vogt und der Stiftsgeistliche durften sich neben die Äbtissinnen stellen.
Die Anwesenden verbeugten sich, als die Herzogin, gefolgt von zwei Bewaffneten, in gewohnt engelsgleicher Weise den Saal betrat. Gisela von Schwaben trug ein dunkelgrünes Kleid mit weiten Ärmeln, dazu einen hellgrün schimmernden Schleier. Eine besondere Aura umgibt sie, dachte Uta. Inzwischen, es war keinen halben Tag her, kam ihr die Begegnung im Hufeisenraum seltsam unwirklich vor. Hatten sie tatsächlich miteinander gesprochen?
»Werte Äbtissin Adelheid, werte Äbtissin Sophie«, begann die Herzogin. »Ich bedanke mich aufrichtig für die freundliche Aufnahme in den Mauern von Quedlinburg und für die offen geführten Gespräche, die den Kaiser und die Opposition einander vielleicht anzunähern vermögen.« Die Verabschiedung wurde zügig mit der beidseitigen Versicherung vollzogen, die vereinbarten Maßnahmen mit dem Kaiser und den Herzögen wohlwollend zu besprechen. Beim Morgenmahl hatte Gisela von Schwaben eine rasche Abreise verkündet, weil sie noch in der vergangenen Nacht gespürt hatte, dass ihre Leibesfrucht alsbald auf die Welt drängte. Sofern Wettergebaren sie nicht behinderten, würde die Reise in den Speyergau in ihrem Zustand sicherlich fünfzehn Tage in Anspruch nehmen.
»Hoheit, wir wünschen Euch eine angenehme Reise zurück an Euren Hof«, sagte Äbtissin Adelheid zum Abschluss. Dabei konnte sie die Erleichterung nicht verbergen, die heiklen Gespräche nicht ganz erfolglos zu Ende gebracht zu haben und dies dem Kaiser auch so übermitteln zu können.
»Da ist noch eine Sache«, erklärte Gisela, als der Stiftsgeistliche bereits vorgetreten war, um die versammelte Gemeinschaft zu segnen.
»Was können wir noch für Euch tun, Hoheit?«, fragte Äbtissin Adelheid und tauschte für einen Herzschlag einen unruhigen Blick mit der Schwester.
»Ich benötige noch eine Hofdame, die des Schreibens mächtig ist«, erklärte Gisela von Schwaben, um ihrer Bitte höflichen Nachdruck zu verleihen. »Ich wünsche eine Eurer Damen mitzunehmen. Als Hofdame.«
Äbtissin Adelheid lächelte widerstrebend und ließ den Blick in Richtung ihrer Sanctimonialen gleiten.
Notburga von Hildesheim versank in einen tiefen Knicks. Sie war überzeugt, die zuverlässigste Schreiberin von allen zu sein – eine, die ihre Pergamente vollständig und zum vereinbarten Tag fertiggestellt hatte, wie sie meinte. Dies und die Tatsache, dass Uta von Ballenstedt ihre Mitschrift erst mitten in der Nacht nachgeliefert hatte, würde sicherlich auch die Herzogin bemerkt haben. Und schließlich waren nun alle Spuren ihres kleinen Kunstgriffs zusammen mit ihrer morgendlichen Erleichterung verschwunden.
»Auf wen ist Eure Wahl gefallen, Hoheit?«, wollte Äbtissin Sophie wissen.
Als Antwort ließ die Herzogin ihren Blick über die Doppelreihe der schwarz-weiß gekleideten Sanctimonialen gleiten. Sie sah glühende Gesichter, gesenkte wie auch hoffnungsvolle Blicke. Auf einem Mädchen in der hinteren Reihe, das feine, aufrichtige Gesichtszüge besaß und wie eine bunte Blume auf einer grünen Wiese unter all den Klosterdamen herausleuchtete, verharrte ihr Blick.
»Uta von Ballenstedt?«, entgegnete Äbtissin Sophie ungehalten, die wie ihre Schwester den herzoglichen Blick mit bitterer Miene verfolgt hatte.
Gisela nickte und streckte Uta an Notburga vorbei die Hand entgegen. »Ich bin mir sicher«, sagte sie, »dass es für Euch kein allzu großer Verlust ist, denn Ihr habt Damen mit ähnlicher Schreibfertigkeit weiterhin zu Eurer Verfügung«, dabei deutete sie auf Notburga von Hildesheim, die sich gerade verkrampft aus ihrer Verbeugung aufgerichtet hatte.
Äbtissin Adelheid schwieg, betrachtete erst die Herzogin und dann
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