Die Herrin der Kathedrale
die Sanctimoniale, die Gegenstand der herzoglichen Bitte war. Natürlich besaß sie niemanden mit der gleichen Schreibfertigkeit. »Werdet Ihr diese ungewöhnliche Schenkung in den Gesprächen mit Eurem Gatten berücksichtigen?«, fragte sie nach längerem Zögern.
Gisela von Schwaben lächelte einnehmend. »Das werde ich sicherlich tun.«
Äbtissin Adelheid umfasste das Lilienszepter. »Ihr könnt sie gleich mitnehmen. Ihre Gernroder Pfründe fallen damit an Quedlinburg.«
»Ich danke Euch vielmals für Eure Großzügigkeit, werte Äbtissin«, sagte die Herzogin und nickte Uta zu, die mit einem schüchternen Lächeln neben sie getreten war. »Dann können wir jetzt aufbrechen.«
Uta konnte es kaum glauben. Die Herzogin wollte sie mit sich nehmen. Auch wenn das bedeutete, dass sie Alwine erst einmal nicht wiedersehen würde, die Gernroder Schreibstube verlassen musste und von nun an weit entfernt von ihrer einstigen Heimat lebte. In diesem Moment konnte sie sich nichts Schöneres vorstellen, als an der Seite der verständnisvollen Herzogin schreiben zu dürfen – noch dazu mit roter Tinte ausgestattet. Uta drückte das Schälchen, das Schwester Monika ihr überreicht hatte, fest an die Taille. »Gerne, Erlaucht«, entgegnete sie.
Hasserfüllt schaute Notburga von der Herzogin zu Uta.
»Diese Ballenstedterin kann nur mit dem Teufel im Bunde sein«, zischte sie und warf ihre Haare mit erhobenem Kopf zurück. Wie sollte sie dieses Unglück nur Bebette beibringen?
3 Basierend auf: Lex Salica Karolina.
4 Zitiert aus: Hrabanus Maurus, Expositiones in Leviticum, Dessau, Anhaltische Landesbücherei, Wissenschaftliche Bibliothek und Sondersammlungen, Bruchstück 3 r, http://www.stift-gernrode.uni-goettingen.de/Lesen.htm .
5 Zitiert aus: Dioskurides: De Materia Medica, in der Übersetzung von Julius Berendes, 1902, http://www.pharmawiki.ch/materiamedica/images/Dioskurides.pdf , S. 117.
TEIL II - STÜTZEN DIE TRAGEN UND VERBINDEN
Die Jahre 1018 bis 1019
4. WIEDERSEHEN IM SCHNEE
Die lange Reise in der Kühle des Herbstes hatte der hochschwangeren Herzogin nichts anhaben können. Sie war selten aus dem Trab in den Schritt gefallen. Von Quedlinburg aus hatte die überschaubare herzogliche Reisegruppe den Unterharz durchritten und war dann über flaches Land vorbei an der Stadt Erfurt auf der Hohen Straße weiter vorangekommen. Als sie südlich von Frankfurt dem Oberrhein gefolgt und nur noch einen Tagesritt vom Speyergau entfernt waren, hatten die Wehen eingesetzt. Die unzähligen Rheinschleifen bis zur heimatlichen Burg waren sie in strengem Galopp geritten. Noch am Abend der Ankunft hatte Herzogin Gisela den ersehnten Erben Heinrich geboren. Drei Tage nach der Geburt war sie bereits wieder aus dem Wochenbett aufgestanden, um sich des herzoglichen Tagesgeschäfts, der Bittsteller und Verwalter anzunehmen. Den Nachmittag des vierten Tages hatte die Wöchnerin dafür auserkoren, ihre neue Hofdame standesgemäß einzukleiden.
»Ihr besitzt sehr helle Haut«, sagte sie, nachdem Uta die Klostergewänder hinter einem Wandschirm abgelegt hatte, in das neue Gewand geschlüpft war und nun wieder hinter dem Sichtschutz hervortrat.
»Das Grün kleidet Euch hervorragend«, meinte die Herzogin.
Uta lockerte ihren Schleier und schaute zweifelnd an sich hinab. Sie fand, dass sie mit ihren dreizehn Jahren in dem neuen Gewand viel älter wirkte. In das Oberkleid war am Ausschnitt, am Saum und an den kurzen Ärmeln eine kunstvolle Bordüre eingenäht, und es lag ungewohnt eng am Körper. Es betonte die Taille und ließ selbst die Wölbungen ihrer zierlichen, festen Brüste erkennen; der Ausschnitt der neuen Tunika legte sogar ihre Schlüsselbeine frei.
Herzogin Gisela spreizte zur weiteren Begutachtung Utas Arme vom Körper ab. »Ein hinreißendes Grün, nicht wahr?« Uta kreiste wegen der ungewohnten Enge des Gewandes mit den Schultern und schaute fragend zu den anderen Hofdamen, die nebeneinander vor der Fensterbank standen. Fünf Damen insgesamt mit fünf besonderen Fähigkeiten hatte die Herzogin in ihren Dienst genommen. Elisabeth von Köln musizierte mit Vorliebe auf der Harfe, vermochte darüber hinaus aber auch auf Instrumenten zu spielen, von denen Uta bislang noch nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab. Die bulgarische Grafentochter Adriana lehrte die Herzogin mit Leidenschaft die verschiedenen Sprachen und Dialekte des Reiches. Grethe aus dem hohen Norden war eine begnadete Tänzerin, Mechthild von
Weitere Kostenlose Bücher