Die Herrin der Kathedrale
Ritterlichen und Gesandten, die aus anderen Königreichen und Herzogtümern angereist waren und mit ehrfürchtigen Gesichtern die Zeremonie verfolgten.
Aribo von Mainz schärfte seinen Blick und straffte die Mundwinkel. Niemand sollte ihm die Freude über den heutigen Tag ansehen. Zu lächeln offenbarte Schwäche und lud dazu ein, in jemandes Seele zu schauen. Solange er zurückblicken konnte, hatte er niemandem jemals Einblick in seine Seele gewährt – weshalb er es auch, davon war er überzeugt, nicht nur bis zum Erzbischof eines unbedeutenden Bistums wie Magdeburg oder Köln gebracht hatte, sondern bis zum Mainzer Erzbischof, dem Erzbischof unter den Erzbischöfen. Sein Blick glitt durch die Gasse zum Portal, durch das nun Herzog Konrad von Schwaben, geleitet von den sieben Salbungsbischöfen, auf ihn zuschritt. Er hatte wieder einmal die richtige Entscheidung getroffen. Nachdem Kaiser Heinrich an seinem chronischen Steinleiden verstorben war, hatte Aribo nach einer Sedisvakanz von zwei Mondumläufen mit Konrad von Schwaben nun eine formbarere Persönlichkeit als den vorangegangenen Kaiser auf den Thron gehoben. Konrads einstige Opposition im Nah-Ehe-Streit war vergessen. Mit dem von ihm beeinflussbaren König konnte er nun auch noch an weltlicher Macht gewinnen.
Kaum merklich zuckten seine Mundwinkel, als der Krönungskandidat mit den sieben Salbungsbischöfen erwartungsvoll vor ihn hintrat. Regungslos schaute Aribo von Mainz über sie hinweg und bemerkte, dass sich auch sonst niemand zu rühren wagte. Dieser Anblick, dieses Gefühl der Erhabenheit, war der eigentliche Höhepunkt seiner Messen. Herzog Konrad legte sich vor dem Altar auf den mit Teppichen bedeckten Boden und streckte die Arme in Kreuzform waagerecht zu seinem Körper aus. Die Anwesenden im Kirchenschiff waren währenddessen ehrfürchtig in die Knie gegangen – wenn die Obersten des Reiches lagen, durfte niemand sonst stehen. Vom Chor erklang eine Litanei, die die zwölf Apostel und die Bekenner des Glaubens anrief.
Die Hofdamen knieten, behütet von einigen der herzoglichen Waffenbrüder, im Haupthaus der überfüllten Kathedrale. Seitdem sie das Kirchenschiff betreten hatten, murmelte Uta unentwegt den Namen des Bruders vor sich hin. Es muss etwas Schlimmes passiert sein, dachte sie und rieb unruhig die Knie aneinander. Ansonsten hätte Esiko ihr längst geantwortet und sie seiner Unterstützung versichert oder sie wissen lassen, dass er ihre Anklage sogar schon mit dem Herzog besprochen hatte.
»Konzentriere dich!«, mahnte Adriana, die neben ihr kniete.
»Gleich empfängt er das Öl.« Sie deutete mit dem Kinn nach vorne.
Uta nickte und versuchte, zwischen den Menschen vor ihr hindurchzuschauen. In einer der mittleren Reihen, hinter den päpstlichen Legaten, vermochte sie die Herzogin auszumachen, die nur dank der Fürsprache ihres Gatten in die Hauptkirche hatte vorrücken dürfen. Unbestritten überstrahlte Gisela in ihrer enganliegenden Robe alle anderen anwesenden Damen. Ihr goldblondes Haar wallte noch fülliger als sonst unter dem knappen Schleier hervor. Und auch ihre Hofdamen hatten selten so kostbare Stoffe getragen wie an diesem Tag – reine Seide in hellen Blau-, Gelb- und Grüntönen, die aus fernen Reichen ins Land gebracht worden war.
Herzogin Gisela, so sinnierte Uta, ist eine starke Frau. Aufgrund des unausgeräumten Nah-Ehe-Vorwurfs hatte sich Erzbischof Aribo geweigert, zusammen mit dem Herzog auch dessen Gattin zu krönen. Schließlich, und das war vornehmlich Giselas Diplomatie zu verdanken, hatten sie sich darauf verständigt, die Herzogin zehn Tage nach ihrem Gatten vom Kölner Erzbischof krönen zu lassen. Frauen waren nicht rechtsfähig! Aber dennoch hatte sich die Herzogin Gehör verschafft und würde, wenn auch nicht wie ihre Vorgängerinnen am selben Tag wie der König, zur rechtmäßigen Königin des Ostfrankenreichs gekrönt werden. Folglich gab es also einen Weg für Frauen, überlegte Uta, zu ihrem Recht zu kommen. Und sofern ihm nichts zugestoßen war, wollte sie diesen Weg mit Esikos Hilfe beschreiten. Gott behüte ihn, bat sie und zwang ihren Blick erneut zum Altar, wo ein Dutzend Messdiener Rauchgefäße schwenkte. Doch ihr Blick ruhte nur kurz auf ihnen und folgte dann dem aufsteigenden Rauch. Eine Krönungszeremonie in einer Kirchenruine – dem Gotteshaus fehlten das Dach und Teile der Wände – war ungewöhnlich. Und dann noch in einer westwärts ausgerichteten Ruine. Bisher waren sämtliche
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