Die Herrin der Kathedrale
Haar glitzerte mit ihren Augen um die Wette. »Schön, dass du gekommen bist.«
Da trat der Knappe ohne Bartwuchs erneut an sie heran.
»Darf ich Euch meinen Schutz antragen, Fräulein?« Er grinste bemüht männlich und deutete auf seinen Dolch am Gürtel.
»Das Bauerngesinde hier scheint mir ziemlich unverfroren und Ihr mir recht hilflos in der Kälte zu sein.«
Uta trat einen Schritt zurück. »Wir können uns gut alleine beschützen.« Ohne eine Erwiderung abzuwarten, griff sie nach Ernas Hand und zog sie hinter sich her. »Komm dort hinüber, zur Kapelle.« Mit einem Blick zurück zum Brunnen versicherte sich Uta kurz, dass ihnen niemand folgte, und wandte sich dann wieder Erna zu.
»Wie ist es dir all die Jahre ergangen? Hast du inzwischen eine Familie? Und was hat dich hierherverschlagen?«, wollte sie wissen und hatte noch unzählige weitere Fragen im Kopf, die sich während der vergangenen Jahre fern der Heimat und Familie angesammelt hatten.
Erna nahm sich die Haube ab, die ihr widerspenstiges Lockengewirr freigab. »Du bist Hofdame der Herzogin von Schwaben geworden?«
Uta nickte ungeduldig. »Wie geht es meinen Geschwistern? Erzähl schon!«
»Sie, ich …« Erna stockte plötzlich und wich Utas Blick aus. Uta sah, wie die Lippen der Magd zuckten. »Warum sagst du denn nichts?« Sie nahm Ernas Hände in ihre und schaute sie auffordernd an.
»Oh Herrgott, stehe meiner armen Seele bei!«, nuschelte Erna.
Uta drückte Ernas Hände unwillkürlich etwas fester.
»Alles hat sich verändert, seitdem du weg bist«, begann die Magd und stockte sogleich wieder.
»Aber sag mir doch, was sich verändert hat«, drängte Uta.
»Esiko hat sich verändert. Er ist grausam geworden«, brachte sie hervor. »Genauso grausam wie der Graf. Allen wollte er zeigen, dass sie ihm ebenso zu gehorchen haben wie seinem Vater.«
Uta legte die Stirn in Falten. Das klang genauso, wie sie es vorausgesehen hatte. Esiko war schon leidenschaftlich ehrgeizig gewesen, als sie noch gemeinsam ausgeritten waren.
»Immer nur Befehle und wütendes Geschrei.« In Erinnerung an Ballenstedt löste Erna ihre Hände aus denen Utas und presste sie sich auf die Ohren. »Keiner wollte mehr in seiner Nähe sein.«
Esiko ist schon immer geltungsbedürftig, aber nie überreizt und unbeherrscht gewesen, dachte Uta. Sollte sich ihr Bruder so verändert haben? »Und wo ist er jetzt?« Vorsichtig löste sie Ernas Hände von deren Ohren und umfasste sie wieder.
»Esiko reitet im Heer des Herzogs von Sachsen«, antwortete Erna.
Uta zuckte zusammen. »Von Herzog Bernhard II ., dem Billunger?« Wenn sich der Bruder tatsächlich im Heer des Sachsenherzogs verdingt hatte, konnte er ihr vielleicht dabei helfen, der Mutter Gerechtigkeit zu verschaffen. Auch wenn Esiko vor Gericht nicht die Muntgewalt für sie übernehmen konnte, solange der Vater lebte, vermochte er bei seinem Dienstherrn durchaus für ihr Anliegen einzutreten.
Ernas Stimme senkte sich. »Im vergangenen Winter wurde Hazecha nach Gernrode gebracht.«
Die Vorstellung, dass ihre kleine Schwester der harschen Äbtissin Adelheid schutzlos ausgeliefert war, schmerzte Uta. Aber immerhin lebte sie noch und war vor dem Vater in Sicherheit. »Erzähl weiter. Wa… wa… was ist mit Wigbert?«
»Deinen kleinen Bruder wollten sie zum Kämpfer ausbilden. Dabei hab ich den Berti viel lieber heimlich mit einem Buch in der Scheunenecke sitzen sehen.« Erna schüttelte ratlos den Kopf. »Die meisten Mägde und Knechte wollten bloß noch weg aus Ballenstedt. Wir waren ja alle das freundliche Wesen der Gräfin gewohnt. Dann bin auch ich von der Burg fortgegangen«, gestand sie. »Hab’s einfach nicht mehr ausgehalten.« Ernas nüchterner Ton wurde wärmer. »Und nicht aufgegeben haben sie, nach dir zu fragen, die anderen Mägde, die Stallburschen und Küchenleute. Niemand wusste, was aus dir geworden ist. Nach einem Jahr hielten sie dich für tot.«
»Ha… ha… hatten die Eltern nicht verkündet, dass ich zur Erziehung ins Kloster gebracht worden war?«
»Die Gräfin hat deinen Aufenthaltsort geheim gehalten. Sie hatte Angst, dass der Graf dir folgen könnte und sein Zorn dich das Leben kostet.« Erna senkte den Blick. »Aber sich selbst konnte sie nicht vor ihm schützen.«
»Was weißt du darüber?« Uta erinnerte sich an Linharts Bericht, als sie damals auf den Burgberg zurückgekehrt war.
»Linhart sagte mir, dass du gesehen hättest, wie der Vater die Mutter tötete.«
Erna holte tief
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