Die Herrin der Kelten
mich.«
Airmid; das große, schweigsame, dunkelhaarige Mädchen war vor kurzem zur Frau geworden und von den Stammesältesten als wahrhaftige Träumerin anerkannt worden. In dem Herbst, bevor Breacas Mutter den Tod gefunden hatte, war Airmid noch keine spezielle Freundin seiner Tochter gewesen. Auch diese Freundschaft war etwas, was sich im Laufe des Winters entwickelt hatte, ohne dass Eburovic etwas davon wahrgenommen hatte. Er griff hinauf, nahm die Brosche von seiner Werkbank und drückte sie Breaca in die Hand. »Wir könnten gleich heute Morgen zu der Plattform gehen. Wenn wir jetzt losreiten, könnten wir wieder zurück sein, bevor der Vormittag zur Hälfte vorüber ist.«
»Ich kann nicht. Es ist schon hell. Ich muss mich um die Großmutter kümmern. Ich bin sowieso schon spät dran.«
Seit zwei Jahren diente seine Tochter der älteren Großmutter als Augen und Glieder, die bei der alten Frau immer mehr den Dienst versagten, und half ihr bei ihren morgendlichen Verrichtungen, um ihr ein wenig das Leben zu erleichtern und etwas von der Last des Alters auf ihre jugendlichen Schultern zu nehmen. Es war eine große Ehre, für eine solche Aufgabe ausgewählt zu werden, aber es bedeutete auch eine große Einschränkung ihrer Freiheit. Eburovic hatte mit Belustigung beobachtet, wie seine Tochter sich eher widerwillig an ihre Pflichten gewöhnte, so wie sich ein nur halbwegs zugerittenes Fohlen an das Geschirr gewöhnte, während es sich immer wieder an den lästigen Fesseln scheuerte und seine Grenzen testete. In letzter Zeit war sie allerdings gewissenhafter geworden.
Jetzt erhob Breaca sich vom Boden. Eburovic spürte, wie ihm etwas Wichtiges entglitt, ähnlich wie ein Fisch im Fluss. Er zog sie wieder in seine Arme zurück und sagte: »Nein. Vor dir hat Airmid der Großmutter gedient. Könnte sie das nicht heute ausnahmsweise einmal wieder tun?«
»Vielleicht.« Sie drehte sich um, um zu ihm aufzublicken. Ihr Gesicht war tränenfeucht, aber ihr Lächeln war ruhig. »Wenn sie weiß, warum.«
»Ist sie unten am Fluss?«
»Noch nicht. Um diese Zeit ist sie im Westhaus.«
»Ach so.« Er fragte sie nicht, woher sie das wusste. Das Westhaus war der Ort, wo die jungen Frauen im gebärfähigen Alter schliefen, die sich noch keinen Mann genommen hatten. Die jungen Männer gleichen Alters schliefen im Süden der Siedlung. Das Rundhaus im Zentrum war den Familien und den Alten vorbehalten. Eburovic spürte, wie eine weitere Tradition in dem Sturm schwankte, der durch den Tod seiner Frau und seines ungeborenen Kindes ausgelöst worden war: Man rechnete nicht damit, dass ein Mann das Westhaus ungebeten betrat. Dieser Morgen, so fand er, war eine Zeit der Ausnahmen. Er stand auf und ließ seine Tochter los. »Ich werde zu Airmid gehen und mit ihr sprechen«, erklärte er. »Du holst das Geschirr und fängst die Pferde ein. Wir treffen uns dann bei den unteren Koppeln.«
Sie trafen wieder zusammen, als die Sonnenstrahlen die unteren Zweige des Rotdorns in der Ecke des Feldes berührten. Airmid hatte sich bereit erklärt, sich um die ältere Großmutter zu kümmern, und die alte Frau hatte diese Änderung in ihrer täglichen Routine akzeptiert. Auf dem Weg durch die Siedlung nahm Eburovic noch seinen guten Umhang mit und stellte dabei fest, dass Breaca schon vor ihm da gewesen sein musste, um ebenfalls ihren Umhang zu holen und ihre alte Tunika gegen die neue zu vertauschen, die in dem speziellen Blau der Eceni gewebt war und am Saum ein verschlungenes Muster in einem dunkleren Farbton aufwies. Er hängte sich sein Schwert über den Rücken und griff nach seinem Speer und dem Kampfschild mit dem eisernen Knauf und dem Zeichen der Bärin, das in die Umrandung aus Ochsenleder eingebrannt war. Die zusätzlichen Waffen waren eigentlich nicht notwendig, aber seit der Errichtung der Plattform war er nicht mehr dort gewesen, und er hatte das Bedürfnis, in feierlichem Aufzug dort hinzugehen.
Er schlenderte zu den unteren Koppeln und stellte fest, dass Breaca mitgedacht und den Rotschimmel eingefangen hatte, mit dem er in den Kampf zu reiten pflegte, und dass sie die Zwischenzeit damit verbracht hatte, die Kletten und den getrockneten Schmutz aus seinem Fell zu bürsten. Neben dem Schimmel stand, fertig aufgezäumt und gesattelt, ein eisengraues Stutenfohlen mit einem fleischfarbenen Mal auf dem Maul und einem schmalen, über die Mitte des Rückens verlaufenden Streifen. Eburovic war überrascht darüber, dass Breaca
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