Die Herrin der Kelten
er zu seiner Vision gekommen ist? Denn Bán war nicht in der Einsamkeit, um auf seinen Traum zu warten, als es passierte. Er könnte dir alles darüber erzählen.«
»Ich habe ihn gefragt.«
»Und was hat er gesagt?«
»Er hat gesagt, es wäre keine richtige Vision gewesen.«
Sie waren fertig mit Malen. Breaca hob einen abgebrochenen Schilfhalm vom Ufer auf und kitzelte damit die Wasseroberfläche. Ein kleiner Fisch tauchte auf, um die Oberfläche an der Stelle zu küssen, wo der Schilfhalm sie berührte. »Er hat sein Herz daran gehängt, seine Kriegerprüfungen zu bestehen, und das ist das Einzige, was ihn interessiert. Er will kein Träumer sein.« Es war für Breaca immer noch unbegreiflich, dass ihr Bruder nicht ihr Herzensbedürfnis teilte, aber sie hatte inzwischen akzeptiert, dass dem so war. Sie half ihm, sich auf seine Kriegerprüfung vorzubereiten, wann immer sie konnte.
Airmid hockte hinter ihr und stützte ihr Kinn auf Breacas Schulter, während sie das Schilf und den Fisch beobachtete. »Und was sagt Macha?«
»Zu Bán? Nichts. Zu mir sagt sie, wenn die Götter wollen, dass ein Mensch sie hört, dann werden sie lauter und immer lauter rufen, bis er sie endlich versteht.« Der Fisch entdeckte einen Wasserkäfer direkt unter der Spitze des Schilfhalms und schnappte danach. Käfer und Fisch verschwanden gemeinsam unter der Wasseroberfläche. Breaca legte den Schilfhalm wieder ans Ufer, wo sie ihn gefunden hatte. Sie griff hinter sich, fand Airmids Hände und zog ihre Arme um sich herum. Die entspannte Stimmung des Morgens war verflogen, und jetzt kehrte ihre Furcht wieder zurück. Sie sagte: »Aber was, wenn die Götter nur flüstern? Dann werde ich sie vielleicht gar nicht hören.«
»Du wirst sie hören. Das garantiere ich dir.«
Der Kuss auf ihr Ohr war so zart wie der des Fisches auf den Schilfhalm. Der Atem ihrer Freundin war ein warmer Hauch an ihrem Hals. Die Sonne stand inzwischen tief über dem Fluss, und der blendende Glanz ihres Widerscheins im Wasser färbte die Welt über und über golden, selbst noch nachdem Breaca die Augen geschlossen hatte. Die Stimmung von zuvor war schließlich doch nicht unwiederbringlich dahin.
Irgendwann später sagte Airmid: »Alle fürchten das Gleiche. Es sind nur die Überheblichen, die fest davon überzeugt sind, dass die Götter zu ihnen sprechen werden - und deshalb hören sie nichts, weil sie nämlich nicht gelernt haben, zuzuhören. Du bist nicht überheblich.«
»Ich habe aber trotzdem Angst.«
»Und genauso sollte es ja auch sein. Aber dennoch. Ganz gleich, wie leise die Götter sprechen, du wirst sie hören. Hab nur Geduld. Sie werden dir alles sagen, was du wissen möchtest. Du brauchst nichts weiter zu tun, als ihnen aufmerksam zuzuhören.«
V
Regen prasselte auf das Blatt vor ihr. Dicke Tropfen sammelten sich am Blattsaum und rollten vorwärts, um schwer auf ihr Knie zu klatschen. Über ihr und auf der Seite ließen weitere Blätter ihre feuchte Last auf ihren Hals, ihr Haar und die bloße Haut ihrer Arme und Beine fallen. Der Regen war warm, erhitzt von dem Gewitter und temperiert in der Schmiede der Götter, und er war eine willkommene Erfrischung nach der drückenden Hitze des Morgens. Nun, da der erste Wolkenbruch vorüber war, konnte Breaca sogar einzelne Tropfen ausmachen, die in forschem Rhythmus durch die oberen Äste des Baums prasselten, lauter noch als das in der Ferne verhallende Donnergrollen.
Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel und beleuchtete die Reitergruppe, die dicht zusammengedrängt an den Rändern des Waldwegs unterhalb von Breacas Baum stand. Sie hatten zu spät Schutz vor dem Unwetter gesucht, und sie und ihre Pferde waren völlig durchnässt. Breaca zählte dreißig Männer, wahrscheinlich aber waren es noch mehr. Sie reisten am Vorabend der Sommersonnenwende, was den sicheren Schluss zuließ, dass sie nicht bloß gekommen waren, um Tauschhandel zu betreiben oder Verwandte zu besuchen. Vorsichtig rutschte Breaca ein Stückchen weiter nach vorn und schob sich durch die nassen Blätter zu einer Stelle, wo sie die Fremden noch genauer in Augenschein nehmen konnte, ohne von ihnen gesehen zu werden. Es waren zwei Gruppen, so viel stand auf jeden Fall fest. Sie hatte beobachtet, wie sie von dem südlichen Wanderpfad herbeigeritten kamen, und es waren bereits zwei getrennte Reiterverbände gewesen, noch bevor sie sich unter die Bäume geflüchtet hatten. Diejenigen, die diesseits des Pfades standen, wurden von einem
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