Die Herrin der Kelten
sich. Silla lag auf dem Bauch, ihre Haut durch die Feuchtigkeit ihres Schweißes fest an seine geklebt, so dass er die leichten Atembewegungen ihres Brustkorbs spüren und den Druck ihrer spitzen Hüftknochen in seine Seite fühlen konnte. Er konzentrierte sich auf die Stelle, wo sich ihr Knie in seine Wade grub, und dieses Gefühl half ihm, seine Benommenheit abzuschütteln und wieder richtig zu sich zu kommen. Er stellte fest, dass Sillas Atem im gleichen Rhythmus wie der der Stute pfiff, und dann, später, dass ihr Körpergewicht schwer auf sein linkes Handgelenk drückte und seine Hand hatte taub werden lassen. Langsam zog er seinen Arm unter ihrem Körper heraus, sorgsam darum bemüht, sie nicht zu wecken.
Seine Schwester war drei Jahre alt und hatte erst vor kurzem die Erlaubnis erhalten, bei ihrem älteren Bruder zu schlafen. Er hatte sich darauf gefreut, hatte sich ausgemalt, wie schön es sein würde, sie zur Gesellschaft zu haben und sich in den kalten Nächten von ihr wärmen zu lassen und die Schlaffelle mit noch jemand anderem als einem Jagdhund zu teilen. Die Realität war jedoch eher ein zweischneidiges Schwert gewesen. In neun von zehn Nächten war Silla ein fröhliches kleines Bündel anschmiegsamer Wärme, das sich unter seine Achselhöhle kuschelte und aufmerksam zuhörte, während er ihr flüsternd die Geschichten von ihrem Vater erzählte, des größten Kriegers und Schmieds, den die Eceni jemals gekannt hatten, und von ihrer Mutter, die die Fähigkeit besaß, sich in den Zaunkönig zu verwandeln und sich durch den Raum zwischen den Welten zu bewegen, um ihre Familie zu schützen. In diesen Nächten kicherte seine kleine Schwester übermütig und ließ ihn die Umrisse des Vogels auf ihre Haut zeichnen, wobei er leicht mit der Fingerspitze aufdrückte, damit die Berührung prickelte und das Gefühl bis zum Morgen anhielt. Dann gab es jedoch noch diese eine von zehn Nächten, in der ihr irgendetwas Angst eingejagt hatte und es schon genügte, wenn er sich im Schlaf zu schnell auf die andere Seite drehte, um sie derart zu erschrecken, dass sie sich in ein wimmerndes, schreiendes Kleinkind zurückverwandelte. Sie konnte mit ihrem Geschrei mühelos das ganze Rundhaus aufwecken, und die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es nicht Silla war, sondern er, Bán, der am Morgen die vernichtenden Blicke der um ihre Nachtruhe gebrachten Hausbewohner ernten würde.
Heute war aber glücklicherweise nicht eine dieser unruhigen Nächte. Silla hatte seiner Geschichte von der Krähe und der Bärin gelauscht und war dann in einen tiefen und festen Schlaf versunken, und sie war noch nicht einmal aufgewacht, als er aus seinem Traum hochgeschreckt war. Er rutschte vorsichtig von ihr weg und rollte sich zur Bettkante, um sich aufzusetzen. Seine Blase war voll und musste schleunigst entleert werden, und vielleicht war es ja dieser schmerzhafte Druck, der die Ursache für die Dringlichkeit in seinem Traum gewesen war. Er schob eine Hand zwischen seine Schenkel, um sich zu vergewissern, dass er sich im Schlaf nicht eingenässt hatte, und dann, verspätet und mit Vorsicht, griff er unter die Schlaffelle, um das Gleiche bei seiner Schwester zu tun. Sie fühlten sich beide trocken an. Er stand auf und ließ sich von dem Drang nach Erleichterung aus der Wärme des Bettes in die Kühle der Nacht hinaustreiben.
Draußen war es gar nicht so kalt, wie er gedacht hatte. Die dicken Wolken, die am späten Abend aufgezogen waren, hatten sich wieder aufgelöst, und der Wind wehte mild von Süden her und bewahrte den Erdboden vor Frost. Trotzdem griff Bán noch einmal durch den schweren Ledervorhang vor der Tür in die Hütte hinein und zog seinen Umhang vom Bett. Er war aus einem der alten Umhänge seines Vaters gefertigt und an einigen Stellen vom Schmiedefeuer versengt, aber noch immer von dem Geruch nach Schafsfett und Männerschweiß durchtränkt. Das Wichtige daran - abgesehen von der Farbe, die blau war wie der Himmel bei Einbruch der Dunkelheit und die ihn als einen Angehörigen der Eceni kennzeichnete - war, dass seine Mutter ihm gesagt hatte, wenn er den Umhang richtig trüge, mit der Brosche auf der rechten Schulter befestigt, sähe er aus wie sein Vater. Das stimmte zwar nicht so ganz, denn sein Vater war blond, während er das dunkle Haar und die bräunlichere Haut seiner Mutter geerbt hatte, aber der Junge begriff, dass die Ähnlichkeit mehr in der Art lag, wie er sich benahm, besonders in Gegenwart der Frauen. Seit er
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