Die Herrin der Kelten
schwarze Steine in einem Gefäß mit fast sechshundert weißen Kieseln übrig blieben.
Ein lautloser Seufzer ging durch die sich lichtenden Reihen der restlichen Kriegerinnen und Krieger. Irgendwo berechnete jemand laut die neuen Gewinnchancen. Breaca brauchte ihm nicht zuzuhören. Sie konnte die Form und die Größe der schwarzen Steine in ihrem Innersten fühlen, als ob jeder Einzelne der Steine in einen langen Knochen eingebettet wäre, von ihrem Mark umhüllt und von ihrem Blut durchströmt. Sie riefen mit hohen Stimmen nach ihr, wie Brachvögel, und sie hatte doch keine Möglichkeit, ihnen auf die gleiche Weise zu antworten. Sie betete zu Briga und beobachtete die Rauchkräusel und das Flimmern in der Luft über dem Feuer, bis ihr der Kopf schmerzte.
Venutios rief nun die Kriegerinnen und Krieger des dritten Schuljahres auf, und die Kieselsteine wurden zu Dutzenden aus dem Gefäß gefischt, allesamt so weiß wie Milch. Dann griff der Erste derjenigen, die im zweiten Jahr an der Schule waren, durch den Schlitz in dem schwarzen Pferdefell, und als auch er einen weißen Stein herauszog, blieben noch sechs schwarze Kiesel unter dreihundertundsiebenundachtzig weißen zurück. Breaca war die Letzte dieses Jahrgangs. Der Sommer, in dem Amminios die Eceni überfallen hatte, war lang gewesen und voll und ganz mit der Pflege der Verwundeten ausgefüllt, und deshalb waren Breaca und Airmid erst im Spätherbst aufgebrochen und erst lange nach der Tag- und Nachtgleiche auf Mona eingetroffen, auf einer Fähre, die bereits im Winterdock gelegen hatte und extra wieder zu Wasser gelassen werden musste, um sie über die Meerenge zu befördern. Noch einen Monat später, und Breaca hätte als die Erste des nächsten Jahrgangs gegolten.
Eine weitere Hand griff in den Kupferkessel, und Breacas innere Stimme sagte: »Schwarz.«
»Lanis von den Votadini ist der Fünfundzwanzigste der dreißig.«
Nun lagen noch fünf schwarze Kieselsteine zwischen zweihundertundvierundfünfzig weißen. Drei Krieger des zweiten Schuljahres warteten noch auf ihren Aufruf.
Dann waren es nur noch zwei.
Das Summen in Breacas Ohren wurde lauter und steigerte sich zu einer fast schrillen Tonhöhe. Ihr Puls begann zu rasen, das Blut rauschte in ihrem Kopf, und sie hatte das Gefühl, vom Boden emporgehoben zu werden. Sie konnte die Spannung förmlich schmecken, metallisch auf ihrer Zunge. Ihr Herzschlag verlangsamte sich, und jeder einzelne Schlag krachte von innen gegen ihren Brustkorb. Venutios’ Lippen formten ein Wort, und ihr Name schwebte auf sie zu, so langsam wie ein Blatt, das in einen Teich fällt. Sie trat vor, um mit ihm zusammenzutreffen.
»Breaca von den Eceni.«
In Venutios’ Stimme schwang Wärme mit und eine lobende Anerkennung der Schlachten, die Breaca bereits geschlagen hatte - die eine gegen Amminios, die ihr Leben verändert hatte, und jene anderen, kleineren, die als Prüfungen in der Schule veranstaltet worden waren. Die Stille nach dem Aufruf war von seinem Lächeln erfüllt und von der Erinnerung an einen Schwertkampf, Mann gegen Mann, bei dem Breaca Venutios’ Klinge mit ihrer eigenen zerbrochen hatte.
Drei Schritte zur Feuergrube und drei weitere zu der Schieferplatte. Auf der einen Seite wartete die ältere Großmutter, so real wie die Hitze des Feuers. Eburovic war eine weniger reale, weniger körperliche Erscheinung, aber sie erinnerte sich noch lebhaft an seinen Geruch, frisch aus der Schmiede. Beide waren ein Teil von ihr; auf Mona konnte sie sie mühelos finden. Sie stellte sich mit beiden Füßen auf die Schieferplatte und blickte über die Feuergrube hinweg, und ihr Herz rief voller Schmerz und Sehnsucht nach dem einen, der ihr noch nie erschienen war, dem einen, den sie Nacht für Nacht suchte, wenn sie allein in der Stille lag, und doch noch immer nicht gefunden hatte. In den letzten Augenblicken, bevor sie die Hand über das Feuer streckte, hätte sie zu Briga beten können, ihr einen schwarzen Stein zu geben, doch sie tat es nicht. Sie betete für Bán. Der nicht da war.
Aber Airmid war da, überraschend nahe, und noch eine andere, die Breaca jedoch nur verschwommen sehen konnte, und dann tauchte ihr Arm in schmelzende Hitze ein, und ihre Hand glitt durch einen Schlitz in einem straff gespannten Fell, und wenn der Kessel Hunderte von Steinen enthielt, so fühlte sie sie doch alle nicht, nur den einen, der sich in ihre Hand schmiegte, als ob er dafür erschaffen wäre. Sie schloss ihre Finger um den Stein, zog
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