Die Herrin der Kelten
hätte sein müssen, ihr den Wahrheitsgehalt dieses Gerüchts zu bestätigen, dies aber unerwarteterweise nicht gekonnt hatte. Da die Lebenden ihr keine befriedigenden Antworten geben konnten, wanderte Breaca zu dem Grabhügel hinauf, um sich mit den Toten zu besprechen.
Die Grabkammer lag nach Osten zu, aber Luain hatte noch eine zweite, nach Westen ausgerichtete Öffnung konstruiert, und diese war mit der Kammer durch einen Tunnel verbunden, durch den das milde Licht der untergehenden Sonne eindringen und die Überlebenden wärmen konnte. Breaca traf kurz vor Einbruch der Dunkelheit ein, fand aber keine Lebenden an dem Ort vor, nur stille, unbewegte Luft und den Strahl von Sonnenlicht, der auf die Urne mit Cunobelins Asche fiel und auf den zerrissenen gelben Umhang darunter. Die Grabkammer im Inneren des Hügels war größer, als Breaca gedacht hatte, und sie roch nach Bauholz, nicht nach Erde und Stein. Die Decke und die Wände waren mit frisch gehobeltem Eichenholz verschalt, und überall waren Spiralen und Linien und die seltsamen tanzenden Tiere der Ahnen eingeschnitzt. Breaca lehnte sich mit dem Rücken gegen das Abbild eines springenden Hirschs, zog die Schnur an ihrer Gürteltasche auf und kippte den Inhalt in ihre Hand.
Hier waren die Andenken, die sie im Laufe ihres Lebens geschenkt bekommen hatte, oder zumindest diejenigen, die man in einem Beutel mit sich herumtragen konnte: ein Ring aus Gold; ein Stück geschnitzten Bernsteins, das ihr Airmid geschenkt hatte, als sie zum ersten Mal die Wasserstraße nach Mona überquerten; die getrocknete Pfote des ersten Hasen, den Hail für sie erlegt hatte, nachdem Bán gestorben war. Sie schob sie alle wieder in ihre Gürteltasche zurück und behielt nur den Ring. Er lag kühl auf ihrer Handfläche. Sie stand eine Weile da und betrachtete ihn nachdenklich, dann beugte sie sich vor und legte ihn in die Mitte des gelben Umhangs, genau dorthin, wo der letzte schräge Strahl der Abendsonne hinfiel. Das kleine eingravierte Abbild des Sonnenhunds hob sich schwarz gegen ein Meer von Gold ab.
Plötzlich raschelten Schritte in dem hohen Gras draußen vor dem Eingang. Ein Schatten fiel zur Tür herein. Und eine Stimme, die sie selbst mitten in einer Schlacht oder in der undurchdringlichen Finsternis eines verschlossenen Grabes erkannt hätte, sagte: »Er hätte nicht gewollt, dass von all den Geschenken, die er jemals gemacht hat, ausgerechnet dieses zurückgegeben würde.«
Breaca hob den Kopf. In der Grabkammer war es plötzlich kälter geworden, und ihre Gesichtshaut spannte sich auf einmal straffer über ihre Knochen. »Caradoc.« Sie zwang sich, sich zu ihm umzudrehen. »Ich habe gehört, du bist der Vater des Kindes, das Cwmfen, die Anführerin der Ordovizer, zur Welt gebracht hat. Ich hatte gedacht, du hättest nur Marocs Drängen nachgegeben, aber anscheinend verhält es sich anders. Dein Vater wird überglücklich ins Reich der Toten gehen, nachdem sein innigster Wunsch nun erfüllt ist.«
»Nicht durch mich.« Er trat weiter in die Kammer herein. Seine Stimme klang gestelzt und seltsam förmlich. »Ja, ich habe eine Tochter; sie ist erst vor wenigen Tagen geboren worden. Ich bin noch dort geblieben, um ihren ersten Atemzug mitzuerleben, bevor ich nach Osten geritten bin. Das ist der Grund, weshalb ich mich verspätet habe. Wir haben sie Cygfa genannt. Bán hatte damals einen Jagdhundwelpen, der den gleichen Namen trug und aus dem gleichen Grund. Sie wird mit dem Wissen heranwachsen, warum ihre Mutter und nicht ihre Tante das Volk der Streitaxt anführt. Es wird sie davor bewahren, zu einer Sklavin der Trinovanter gemacht zu werden.«
»Und was wird sie über ihren Vater wissen?«
»Genauso viel, wie du über deinen Vater gewusst hast. Mehr, so hoffe ich, als ich über den meinen gewusst habe. Oder zumindest wird das, was sie weiß, anders sein.«
Er trat an das andere Ende der Totenbahre, um Breaca anzusehen. In der harzig duftenden Luft des Grabkammer verströmte er den Geruch nach einer langen Reise, nach Pferd und Ledergeschirr sowie nach Schmutz und Kleidern, die zu lange nicht gewechselt worden waren. Er hatte sich nur gerade die Zeit genommen, um sich den Reisestaub von Händen und Gesicht abzuwaschen und sich einen frischen Umhang umzuwerfen, zwar leicht zerknittert von der Satteltasche, aber sauber und nicht durch Wind und Wetter zerschlissen. Der Umhang war von dem Weiß der Ordovizer und wurde von einer silbernen Brosche in Form einer Streitaxt
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