Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
von Rom!«, rief Stephan. »Warum hast du dich vom Ostfranken Arnulph verleiten lassen, ihn zum König der italischen Länder zu krönen?«
»Ich war schwach«, piepte es fast unhörbar hinter dem Leichnam hervor. Der kindliche Diakon war nicht originell in seiner Antwort, oder sollte es vielleicht auch nicht sein. Noch etliche Fragen wurden dem toten Papst gestellt, unzählige Verfehlungen beanstandet, von der Bestechlichkeit bis zur Sodomie, bis Stephan VI. von den anwesenden Geistlichen endlich ein Urteil abforderte: schuldig. Nach diesen Worten ging Stephan zur Leiche, entriss ihr Umhang und Tiara und scheute sich nicht, ihr die drei Schwurfinger der linken Hand abzubrechen.
»Damit enthebe ich dich, Formosus, rückwirkend deines Papstamtes, und alle Edikte, Bullen, Verordnungen und alle sonstigen Amtshandlungen sind unwirksam, einschließlich der Krönung des Karolingers Arnulph zum König Italiens. Arnulph ist abgesetzt, und die Krone ist frei. Du selbst bist geächtet und gebannt, und ein jeder, der dir Übles tat, der tat recht.« Wenige Augenblicke später kniete Ageltrudis’ Sohn Lambert, der Herzog von Spoleto, nieder und empfing von Stephan VI. eine neue, funkelnde Königskrone.
»Gott, war das widerlich«, stöhnte Theophyl, als sich die Pforten der Laterankirche öffneten und die Zeremonie damit beendeten. »Werden wir denn nur von Abartigen regiert?«, rief er zu den Gewölben hinauf.
Theodora sah sich um und hoffte, dass keiner der anderen Edlen Theophyls Worte beachtet hatte. In Rom hörten die Menschen besser als irgendwo anders, und die Würdenträger hörten am besten von allen, immer auf der Suche danach, das Amt eines politisch oder im Glauben Fehlgeleiteten übernehmen zu können. »Gott ist nicht hier«, zischte sie, »dafür aber jede Menge menschlicher Ohren. Sei leiser.«
»Wozu? Sie denken alle wie ich.« Es war ein trauriger Tag für die Ewige Stadt und Italien, dachte Theophyl, und jeder anständige Römer würde darin seiner Meinung sein. Der Versuch des ostfränkischen Königs Arnulph, die italischen Staaten auf friedliche Weise in den Verbund der deutschen Stämme zu führen und so die Entstehung eines neuen Reiches zu fördern, war mittels dieses makaberen Auftritts gescheitert. Von jetzt an war Arnulph nicht länger König von Italien, und Italien daher wieder der Gegenfraktion ausgeliefert. Ageltrudis! Ihr Hass gegen die Ostfranken, insbesondere gegen das karolingische Königshaus, grenzte an Irrsinn. Aber sie war nur die Herrscherin
eines
italischen Teilstaates, Spoleto, und vermochte alleine wenig auszurichten. Doch hinter ihr stand eine ganz andere Macht: das autoritäre Byzantinische Imperium, das Italien als sein Einflussgebiet ansah und dessen Eifersucht auf das aufstrebende Reich des Nordens offensichtlich auch nicht vor einer Grabschändung Halt machte. Und Theodora verteidigte diese Abscheulichkeit auch noch!
»Ich gebe es ja zu«, flüsterte sie und rückte die zahlreichen Ringe an ihren gepflegten Händen zurecht. »Es war eine absonderliche Synode. Aber sie war auch sinnvoll. Ageltrudis und ihr Sohn sind Verbündete des Imperiums und . . .« Theodora redete und redete, wie immer, wenn Ageltrudis das Gesprächsthema war.
Schmerzlich dachte Theophyl an die Frau zurück, die er einmal geheiratet hatte. Theodora, Tochter einer reichen Adelsfamilie aus Tusculum, hatte eine beachtliche Mitgift in die Ehe eingebracht, aber das war es nicht, was Theophyl bewogen hatte, sie zu heiraten. Sie war stolz, neugierig und impulsiv gewesen – alles das, was er nicht war. Die ersten Jahre mit ihr waren die glücklichsten seines Lebens. Was Theodora dann zu dem gemacht hatte, was sie heute war – er wusste es nicht. Jedes Gefühl hatte sie dem Streben nach Macht geopfert, jede ihrer und anderer Leute Überlegungen prüfte sie danach, ob sie den Richtlinien des Byzantinischen Imperiums entsprachen. Nun, es war eine Sache, vor diesen Verbrechern den Rücken zu beugen, wie er es in seinem Amt tun musste und wie die meisten anderen Würdenträger Italiens es taten, aber eine ganz andere Sache, mit ihnen einer Meinung zu sein.
Er sah seine Tochter an, nahm ihre Hand und drückte sie gerade so fest, dass es ihr nicht wehtun würde. Ihm fiel schmerzlich auf, wie verstört sie aussah, doch ein leichter Stoß von Theodora riss ihn wieder aus seiner Sorge um das Mädchen heraus.
»Ageltrudis schaut schon herüber«, zischte sie. »Du musst ihrem Sohn gratulieren. Und dem
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