Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Papst.«
»Diesem Leichenschänder gratulieren? Niemals!« Aber kaum hatte Theophyl es ausgesprochen, wusste er auch schon, dass er es dennoch tun würde. Es waren gefährliche Zeiten. Die Herzogin und ihre Lakaien vom Lateran achteten auf alles, was man tat und was man nicht tat. Theophyl gönnte sich ein letztes Streichen seines Bartes, bevor er seiner Frau den Arm darbot und mit seiner üblichen, leicht nach vorne gebeugten Körperhaltung den schweren Gang antrat.
Ageltrudis und ihr Sohn standen noch dort, wo Lambert die Krone empfangen hatte, und waren umringt von Gratulanten. Die Älteren unter ihnen verbeugten sich gemessen oder begnügten sich mit einem knappen, ruckartigen Kopfnicken, bevor sie sich wortlos, aber mit Zügen des Abscheus auf ihren Lippen wieder entfernten. Die Jüngeren hingegen, die ihre Laufbahn noch vor sich hatten, die sich Pfründen vom Papst oder Ämter von der Herzogin und ihrem nun königlichen Sohn erhofften, hatten allen Schauder vergessen und übten sich bereits wieder in überschwänglichen Gesten. Sie lüfteten ihre modischen schiffförmigen Hüte, streckten sie übertrieben weit in die Höhe oder zur Seite, schwangen ihre farbigen Umhänge, schwatzten wild durcheinander auf die Machthaber ein und drängelten sich wechselweise zur Seite, so dass der Haufen vor Ageltrudis waberte wie eine dickflüssige Giftbrühe.
Die Frauen hingegen in ihren langen mantelartigen Kleidern scharten sich auf der anderen Seite des Kirchenschiffs zusammen. Einige reckten gespannt die Köpfe zu ihren Männern und feuerten sie mit aufgerissenen Augen und stummen, heftigen Bewegungen der Hände an, wenn ihnen die Ehrenbezeugungen noch zu fad vorkamen. Die meisten jedoch hielten den Blick gesenkt und trösteten ihre verstörten oder schluchzenden Kinder.
Theodora erlegte sich eine solche weibliche Zurückhaltung nicht auf. Ageltrudis, das wusste sie, schätzte Selbstbestimmtheit an Frauen. Zwar würde es heute wegen des Gedränges kaum möglich sein, einen bleibenden Eindruck bei der Herzogin zu hinterlassen, vielleicht aber konnte sie einen Anfang machen. Wenn sie nur dicht genug an Ageltrudis herankäme . . .
Sie packte trotz Theophyls Protesten Marocia an den Schultern und schob sie wie einen Schild vor sich her. Dabei bemerkte sie den Sand auf den Schultern ihrer Tochter. »Wie siehst du denn aus?«
Marocia fiel es schwer, zu antworten. Sie fror, und doch stand ihr Schweiß auf der Stirn. »Dort drüben, wo ich stand, Mutter . . . Wie Goldregen rieselt . . .«
»Ja, ja, schon gut.« Sie hatten sich endlich einen Weg zu König, Herzogin und Papst gebahnt und standen ihnen gegenüber. Ihre Gratulationen gingen zwar in dem Geschwätz fast unter, aber dafür wurde Ageltrudis sofort auf das einzige kleine Kind inmitten dieser Horde aufmerksam.
»Meine Tochter, Durchlaucht«, erklärte Theodora, als sie das Interesse der Herzogin bemerkte.
Marocia sah zu Ageltrudis auf. Sie hatte sich die sagenhafte Heldin ihrer Mutter anders vorgestellt. Die vielen Geschichten von einer kämpferischen Frau, die ein Bündnis mit dem Oströmischen Imperium in Byzanz geschlossen hatte, die sich weder von den Päpsten noch von den jenseits der Alpen herrschenden Karolingern etwas gefallen ließ, hatten in Marocia das Bild einer jungen Amazone im Harnisch heraufbeschworen. Aber nun blickte sie auf ein kalkweißes altes Gesicht, das an eine Totenmaske erinnerte und von den kupferfarbenen Haaren und der pompösen Kleidung noch betont wurde. Sie leistete sanften Widerstand, als Ageltrudis sie an sich zog und ihr mit kalter, zittriger Hand über die Haare streichelte.
»Wie ist ihr Name?«, fragte die Herzogin. Ihre Stimme war rau und heiser.
Theodora nannte ihn. »Wir haben noch einen Sohn, Durchlaucht, doch der konnte . . .«
Ageltrudis unterbrach. »Marocia, sagt Ihr? Das kommt von Maria, nicht wahr? Nun, meine kleine Jungfrau«, wandte die Herzogin sich jetzt direkt an das Mädchen. »Wie hat dir unsere Krönung gefallen, sag mir das.«
Marocia verstand nichts von den Dingen, die sie eben gesehen hatte, war aber überzeugt, dass Leute, die Toten die Finger brachen oder so etwas gut fanden, nicht Recht haben könnten. Die Krönung hatte sie überhaupt nicht wahrgenommen. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um das Skelett. »Was passiert jetzt mit . . . mit
ihm
?«, fragte sie laut, weil die Horde noch immer auf König Lambert einredete.
Sofort breitete sich Schweigen aus. Wo eben noch König und Papst hofiert worden
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