Die Herrin der Pyramiden
nächtlichen Tempel zu einem Treffen mit seinem Geliebten folgte.
Ramses konnte diese Neuigkeit nicht für sich behalten, und um seine eigenen schwachen Leistungen aufzubessern, erzählte er der Tempelverwaltung von seinen Beobachtungen. Am nächsten Tag fehlte Senenmut im Unterricht, und auch Sethi konnte ich nirgendwo finden.
Am selben Abend zog Sethi seine priesterliche Kleidung aus. Ich half Senenmut beim Packen. »Wohin wollt ihr gehen?«
»Wir wissen es noch nicht. Sethi hat eine Ausbildung als Schreiber, und ich stehe auch kurz vor meiner Abschlussprüfung.«
»Deine Karriere ist beendet.« Meine Worte waren taktlos, entsprachen aber der Wirklichkeit.
»Das weiß ich, Nefrit. Ich werde mich schon durchschlagen. Mein Geliebter ist mir wichtiger als meine Karriere.«
Zum Abschied küsste mich Senenmut, und ich erkannte, was Liebe bedeuten konnte. Ich dachte an meine eigene erste Beziehung zu Sekhem zurück. Wie lange war das her? Beinahe drei Jahre!
An jenem Abend verschwand Iya. Sie ging, als sie vermutete, dass ich eingeschlafen war. Als ich das Rascheln ihrer Schlafmatte hörte, horchte ich auf. Iya, die gewöhnlich nicht vor dem Morgengrauen aufwachte, erhob sich von ihrem Lager und beugte sich über mich, um sich zu vergewissern, dass ich schlief. Ich hielt die Augen geschlossen und atmete tief und ruhig. Iya verließ unsere Kammer und kehrte erst in der Morgendämmerung zurück.
Als sie sich auf ihre Schlafmatte gelegt hatte, drehte ich mich zu ihr um: »Wo warst du?«
»Das geht dich nichts an.«
»Hast du dich mit einem Mann getroffen?«
Meine Vermutung schien nicht so abwegig, denn im fahlen Schein des Morgenlichts sah ich sie erröten. »Das kann ich dir nicht sagen, Nefrit.«
Ich war gnadenlos. »Du weißt, was passiert, wenn ich deinen nächtlichen Ausflug der Tempelverwaltung melde?«
»Das wirst du nicht tun!«
»Traust du mir das nicht zu?«
Iya überlegte kurz. »Doch, das traue ich dir zu. Schließlich hast du auch Sethi und seinen Geliebten auf dem Gewissen.«
Sie konnte mein Gesicht nicht sehen, und ich war froh darüber. Hatte sich herumgesprochen, dass ich die Liebesbriefe befördert hatte? Wer war auf die Idee gekommen, ich hätte die beiden bei der Tempelverwaltung angezeigt? »Wer hat dir das erzählt?«
»Ramses.«
Ich hatte zwei Möglichkeiten: Ich konnte meine Beteiligung an dieser Affäre leugnen, aber Iya würde mir nicht glauben. Oder ich könnte meinen Ruf riskieren und ihr das Geheimnis ihrer nächtlichen Eskapaden abtrotzen. Ich entschied mich für Letzteres. Was hatte ich zu verlieren? »Du triffst dich mit Ramses?«
Sie zögerte, aber ihre Angst vor meiner Anzeige bei der Tempelverwaltung überwog. »Ich treffe mich nicht mit Ramses. Ich war heute Nacht draußen.«
»Wo warst du?«, fragte ich, fasziniert von dem Gedanken, den Tempel verlassen zu können.
»Ich war im Haus der Krieger. Ich habe meinen Verlobten getroffen. Bitte erzähle es niemandem, Nefrit!«
»Nein, nein, natürlich nicht. Unter einer Bedingung.«
Iya sah mich unruhig an. »Welche Bedingung?«
»Du nimmst mich das nächste Mal mit.«
2
Acht Wochen vor der Priesterweihe verschwanden Iya und ich nach Mitternacht aus dem Tempel. Sie war nicht glücklich, mich mitnehmen zu müssen, aber ich ließ ihr keine Wahl: entweder mit mir oder nie mehr.
Noch nie hatte ich Mempi bei Nacht gesehen! Die Stadt war mit Fackeln und Öllampen hell erleuchtet. Selbst nach Mitternacht waren die Straßen nicht verlassen, sodass wir uns in einiger Entfernung vom Tempel nicht mehr verstecken mussten.
Wir gingen eine Weile, bis wir das Haus der Krieger erreichten. Vor dem Tor der Kaserne standen zwei Wachen, die uns widerstandslos durchließen. Mädchenbesuche nach Mitternacht schienen nicht ungewöhnlich zu sein.
»Bleib ganz dicht bei mir!«, befahl Iya. »Dann wird dir nichts geschehen.« Ich fragte mich, was mir allein geschehen sollte, was nicht uns beiden widerfahren konnte.
Hinter dem hohen Pylon lagen die Quartiere der Soldaten und Offiziere um einen großen Innenhof. Das Kriegerhaus war wie eine Festung von einer hohen Mauer umgeben.
»Wo finden wir deinen Verlobten?«, fragte ich Iya.
»Er ist Streitwagenführer und hat eine eigene Kammer. Aber er wird bei den anderen sein.«
Wir durchquerten die Kommandantur, ohne aufgehalten zu werden. Überall saßen und standen Krieger herum, manche noch in Rüstung, manche nur mit einem Schurz bekleidet, andere nackt. Je weiter wir in
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