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Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Titel: Die Herrin der Rosen - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Worth
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heuerten Köche aus den Londoner Herrenhäusern an, große Mengen dicke Suppe zu kochen. Wir versprachen ihnen, sie bald zu bezahlen, und alle gewährten uns Kredit.
    Die Hilfsbereitschaft der Menschen rührte mich. Männer und Frauen, Jung und Alt, in Lumpen, mit fehlenden Zähnen oder Gliedmaßen, übersäten unsere Hände und Kleidersäume mit Küssen und riefen uns ganze Litaneien von Segenswünschen nach:
    »Gott segne die Nevilles!«
    »Möge der Herr den Earl of Warwick und seine Familie schützen, den Retter Englands!«
    »Gott segne das Haus York, denn ohne York sind wir verloren, verloren!«
    Die Kinder und John, von dem ich dieser Tage wenig sah, waren mein einziger Trost. Das Erber erinnerte überall an den Earl, den ich wie einen Vater geliebt hatte, und an Thomas, der mir ein teurer Bruder gewesen war. Meine Arbeit für die Armen tat mir wohl, indem sie meinen Geist beschäftigte und mich tagsüber fern vom Erber hielt. Abends kehrte ich erschöpft zurück und fiel meist früh ins Bett. Die Countess und Maude hingegen schliefen so gut wie gar nicht, sondern saßen da und starrten blind aus dem Fenster, als erwarteten sie, dass ihre Ehemänner aus dem Grab nach Hause kämen. Countess Alice dauerte mich am meisten, denn Maude hatte ihre Jugend und eine Zukunft, die Countess hingegen nur ihre Erinnerungen.
    Mich schmerzte es zu sehen, wie sehr Johns Mutter in ihrem Kummer alterte. Sie war beinahe nicht wiederzuerkennen. Ihre einst rosigen Wangen hingen schlaff und blass herunter, und sie war sehr abgemagert. Mit ihren lose schlackernden Kleidern und den dünnen zittrigen Händen ähnelte sie einem Skelett.
    Obgleich ich müde war, fand ich in diesen Tagen selten Schlaf. Jede Nacht lag ich neben John und malte sehr sacht, um ihn nicht zu wecken, die Linien seines schönen Gesichtes nach. Oft legte ich vorsichtig meine Hand auf sein Herz, in dem Wunsch, das rhythmische Schlagen zu spüren. Dass John ruhen konnte, war gut, denn er würde seine Kraft brauchen, wenn es zur Schlacht kam. Wann immer mich dieser finstere Gedanke plagte, nahm ich eine Kerze und leuchtete mir den Weg zur Kapelle. Bisweilen tröstete es mich, dort zu sein, doch es geschah auch, dass mir sie zu winzig für meine großen Bitten an Gott erschien. Dann verließ ich das Haus im Morgengrauen und ging zur geräumigeren Kirche St. Mary’s, um noch mehr Kerzen zu entzünden und weitere Gebete zu sprechen.
    In einer der schlaflosen Nächte nach Wakefield überkam mich der Wunsch nach frischer Luft, also stand ich auf und schlich die Turmstufen hinab zum Fluss. Hin und wieder half es, in die sternenglitzernde Weite aufzublicken, wo Gott wohnte, und mir wurde ein bisschen leichter ums Herz. Zu meiner Verwunderung entdeckte ich eines Nachts die Countess unten an der Treppe, die aus der Burg herausführte.
    »Ich suche hier … nach etwas … das ich verloren habe«, sagte sie mit einer seltsamen Stimme und einem merkwürdig ausdruckslosen Lächeln. »Aber ich … ich weiß nicht mehr, was es war … nur, dass ich ohne es nicht leben kann … Es ist etwas Kostbares … doch … doch ich weiß nicht, was …«
    Ich begriff, dass sie schlafwandelte; was sie suchte, würde sie nicht finden. Mir kam eine Zeile von Aischylos in den Sinn: »Noch im Schlaf fällt uns der Schmerz, der nicht vergessen kann, Tropfen für Tropfen auf das Herz.« Heiße Tränen rannen mir über die Wangen und tropften auf meine Hände, als ich die Countess behutsam zu ihrem Schlafgemach führte und der Obhut ihrer Dienerin übergab.
    Die arme Maude war ebenfalls untröstlich. »Das Leben ist ein Krieg, warum kann ich nicht einfach sterben?«, hauchte sie eines Tages, als sie die Brühe wegschob, die ich ihr gebracht hatte. Ich nahm sie in die Arme, strich ihr über das helle Haar und küsste ihre blasse Stirn. Ihre Verzweiflung war nur zu verständlich, denn Thomas war bereits der zweite Gemahl, den sie verloren hatte, und sie hatte keine Kinder, deren Lachen ihre Trauer linderte. Ohne den allzeit lustigen Thomas kam selbst mir das Erber unerträglich still vor, wie musste es da erst für Maude sein? Doch bald sollte sie nach Tattershall Castle gehen, um bei ihrem jovialen Onkel zu leben. Und ich war gewiss, dass ihr der Abstand zu den Erinnerungen hier helfen würde.
    Unterdes hatten Warwick und John alle Hände voll zu tun, London unter dem Lancastrianer-Bürgermeister unter Kontrolle zu behalten, während sie eine neue Armee zusammenstellten, um die gefallene in Wakefield

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