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Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Titel: Die Herrin der Rosen - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Worth
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Somerset zu schlagen, stürzte ich mich auf Johns Arm und fing ihn ab.
    »Nein, John, nicht! Es ist unter deiner Würde, einen Gefangenen zu schlagen – noch dazu einen, der dir Güte zukommen ließ!«
    »Güte!« Hasserfüllt sah John mich an. »Ist dies Güte – dass du dich hier herunterstiehlst, um dich von meinem Todfeind küssen zu lassen – dem Mann, der meinen Vater und meinen Bruder ermordete?«
    »An ihrer Ermordung war ich nicht beteiligt«, widersprach Somerset. »Ich habe versucht, sie von dieser Untat abzuhalten.«
    »Das behauptet Ihr jetzt, da niemand mehr da ist, der Euch widersprechen kann«, zischte John. »Ich habe nicht übel Lust, Euch ihrem Onkel zu überlassen. Wisst Ihr, was er gern mit Euch täte?«
    »John, ich bitte dich, sprich nicht weiter! Lass es gut sein! Ich kam her, um ihm zu danken, dass dir nichts zugestoßen ist! Er versprach mir in St Albans, dass dir kein Schaden zugefügt würde, und er hielt sein Versprechen! Oh, John, vergib ihm! Ich wollte ihm nur danken, sonst nichts.«
    Mit einem Armschwenk schüttelte John mich ab, warf Somerset einen wütenden Blick zu und ging. Ich lief John nach, konnte jedoch nichts ausrichten. Sein Gesicht war wie versteinert, und er weigerte sich, mich anzuhören oder mit mir zu sprechen.
    Zum ersten Mal in unserer Ehe kam er nicht in unser Bett.
    Am nächsten Morgen winkte ich meinem Onkel sorgenvoll zum Abschied nach. Kaum dass er fort war, ließ John Somerset nach Middleham bringen, wo er im Gefängnis bis zur Ankunft des Königs bleiben sollte. Während der nächsten drei Tage hielt John einen Kriegsprozess auf dem Marktplatz ab, wo er die meisten Gefangenen begnadigte und den Rest hängen ließ. Ich wusste, dass er so schnell handelte, weil mein Onkel keine Gelegenheit bekommen sollte, seine Pläne mit diesen wehrlosen Kreaturen zu verwirklichen. Dennoch schien mir diese Eile unnötig, denn ich entsann mich einer Begebenheit, von der ich John unmöglich erzählen konnte. Das Gerede meines Onkels über das Pfählen war nichts als Aufschneiderei gewesen, und seine harte Haltung verbarg ein weiches Herz, das niemals grausam sein könnte. Ich wusste es, weil er mir als Kind die Geschichte der unglücklichen Liebenden Tristan und Isolde vorgelesen hatte, und noch ehe wir das Ende erreicht hatten, war er zusammengebrochen und hatte ihr Leid beweint.
    Selbst im zarten Alter von sechs Jahren hatte ich begriffen, dass mein Onkel ein stolzer Mann war, der anderen seine Schwäche nicht zeigen wollte. Deshalb sprach ich nie über das, was ich erlebt hatte, und vergaß es mit den Jahren beinahe.
    Am letzten Tag der Hinrichtungen sah ich John nicht, und in der Nacht, bevor er wieder aufbrach, blieb er zum dritten Mal unserem Bett fern. Rastlos lief ich im Schlafgemach auf und ab, als könnte die Bewegung meine Seelenqualen lindern. Die traurigen Kirchenglocken schlugen die Stunde der Matutin, und die nächtlichen Gesänge der Mönche schwebten durch die Nacht bis zu mir. Ich hielt es nicht länger aus. Nachdem ich mir den Morgenmantel übergezogen hatte, ging ich zu Johns Zimmer am Ende des Flurs.
    Er hatte die Augen geschlossen. »John«, flüsterte ich, »bist du wach?«
    Im Mondlicht erkannte ich, dass er die Augen öffnete, aber er sagte kein Wort.
    »Was geschehen ist … Du weißt doch gewiss, dass ich nichts dergleichen beabsichtigte, als ich Somerset dankte.«
    Er antwortete nicht. Wenigstens drehte er sich nicht weg.
    »John, ich gab dir niemals Grund, an meiner Treue zu zweifeln. Somerset packte mich. Hast du nicht gesehen, dass ich mich ihm entwinden wollte, als du hereinkamst? Du bist meine erste und einzige Liebe. Wenn wir getrennt sind, sehne ich mich nach dir, und nur mit dir an meiner Seite fühle ich mich wahrhaft lebendig. Uns ist so wenig gemeinsame Zeit vergönnt, mein Liebster, und es ist furchtbar, diese Momente zu vergeuden. Morgen musst du wieder fort«, ängstlich sah ich zum schwarzen Fenster, »und ich werde wieder allein sein, Gott weiß, wie lange …« Unglücklich brach ich ab.
    Sein beharrliches Schweigen vernichtete meine Hoffnung auf Vergebung. Trotzdem wollte ich noch einen Versuch wagen. »Das Leben ist unsicher, mein liebster Lord, und Verlust ist uns nur zu vertraut, dir und mir. Obgleich du jede Schlacht gewonnen hast, die du kämpftest, bin ich in steter Angst, die nächste könnte dich mir rauben. Manchmal ist es, als folgte mir der Schatten des Todes auf Schritt und Tritt.« Meine Stimme versagte, doch ich redete

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