Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
hatte. Marguerite war noch in Frankreich, wo sie auf günstigere Winde wartete, um nach England zu segeln. Warwick hatte London eingenommen, den gütigen Henry wieder als König eingesetzt und sicherte die Stadt für Lancaster. Die Leute schienen dies alles widerstandslos zu akzeptieren, und wie sollten sie auch nicht? Zuerst hatten sie Henry gehabt, der schwach war und das Land von seinen gierigen, machthungrigen Günstlingen hatte plündern lassen. Dann hatten sie Edward gehabt, der stark war und ihnen versprochen hatte, alles würde besser, nur um das Land aufs Neue von seinen Günstlingen ausplündern zu lassen. Wo war der Unterschied? Sämtliche Versprechungen von Frieden und Wohlergehen waren nichts wert gewesen.
Nun war John wieder in London und half ein weiteres Mal, einen König zu ersetzen. Ich hielt seinen Brief fest in beiden Händen.
Und Warwick entschied, dass keine Vergeltung gegen irgendjemanden geübt werden sollte. Er möchte, dass Recht und Ordnung herrschen und Blutvergießen vermieden wird«, schrieb er. »Mit einer Ausnahme. Dein Onkel Worcester wurde in einem Versteck in Weybridge Forest entdeckt und soll vor einem eigens ernannten Richter angeklagt werden – John de Vere, Earl of Osmond, dessen Vater und Bruder dein Onkel zum Tode verurteilte. Sein Prozess ist auf den fünfzehnten Tag des Oktobers festgesetzt, und es bestehen keine Zweifel, wie das Urteil lauten wird.
»Geoffrey!«, rief ich und lief aus dem Alkoven, wo ich Johns Brief gelesen hatte. »Ursula! Schnell! Ich muss sofort nach London!«
26
D IE E XEKUTION , 1470
Die Reise nach London war beschwerlich. Wir ritten durch eisigen Wind, strömenden Regen und dichten Nebel und machten nur halt, solange es nötig war, um unsere Pferde ausruhen zu lassen, denn ich fürchtete, dass ich zu spät kommen könnte, um mich von meinem Onkel zu verabschieden. Wäre John im Erber gewesen, hätte ich dort meine Reisekleidung gewechselt und ihn einen Moment sprechen wollen. Doch er war zum West Country befohlen worden, und so ritt ich direkt zum Westminster-Palast, wo mein Onkel in Haft saß. Es war der sechzehnte Oktober, der Tag nach seinem Prozess. Man hatte ihn für schuldig befunden. Die Hinrichtung sollte am nächsten Tag sein.
Es war Warwick zugutezuhalten, dass er meinen Onkel nicht in einen Kerker sperrte; stattdessen hatte er ihm eine recht gut ausgestattete Kammer zugewiesen. Zwar war das Fenster vergittert, doch es ging zu den Gärten im Innenhof. Mein Onkel hatte in einer Handschrift gelesen. Er blickte auf, als der Wächter mit lautem Schlüsselgeklimper aufschloss und den schweren Riegel beiseiteschob, um mich einzulassen.
»Mein gutes Kind«, begrüßte er mich und stand auf. Seinem verzückten Tonfall nach sollte man glauben, ich wäre gekommen, um mit ihm Wein zu trinken und über lateinische Dichtung zu plaudern. Er legte die Handschrift auf den Tisch. »Ovid«, sagte er und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. » Tristia … wunderschön, lyrisch … Er schrieb es während seiner Zeit im Exil, und es veranschaulicht aufs Rührendste seine Trauer und sein Unglück. Er sehnte sich schmerzlich nach Rom und seiner dritte Gemahlin, musst du wissen.« Der Blick meines Onkels verharrte auf dem Manuskript, als wäre es ein lebendiges Ding. Ich wartete, doch er blieb tief in Gedanken versunken. Vielleicht dachte er an seine tote Ehefrau, die er von Herzen geliebt hatte und um die er nach wie vor trauerte. Nun schien er beinahe zu vergessen, dass ich hier war.
»Ich danke Euch, mein lieber Onkel«, begann ich, »für die Güte und Zuneigung, die Ihr mir stets erwiesen habt … dafür, dass Ihr mir vorlast, als ich ein Kind war … mich vieles über die großen Meister lehrtet … mich getröstet habt, als meine Mutter starb. Aber vor allem danke ich Euch, dass ihr mir halft, John zu heiraten. Ohne Eure Fürsprache hätte Marguerite niemals ihre Zustimmung gegeben.«
»Gutes Kind, die Liebe ist alles, was zählt«, sagte er und breitete die Arme aus, und ich ließ mich von ihm halten. »Deine Tante Elizabeth schenkte mir Liebe. Ich hatte sie nur ein Jahr lang bei mir, und sie starb bei der Niederkunft mit unserem tot geborenen Kind. Aber in meinem Herzen lebt sie bis heute.«
Mit großem Schmerz wurde mir klar, dass dieser Mann der Einzige war, der mir aus der Kindheit geblieben war. Weinend klammerte ich mich an ihn und vergrub mein Gesicht in seinem Samtärmel.
»Aber, aber, was sollen die Tränen? Es gibt keinen
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