Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
von Eurer Krankheit genesen seid, Lady Isobel«, sagte er, verbeugte sich und schwang dabei elegant den Hut. »Wie ich sehe, entsinnt Ihr Euch meiner nicht. Wir begegneten uns auf Tattershall Castle, konnten uns aber bedauerlicherweise nicht einander bekannt machen, war mir doch das Glück versagt, Euch um einen Tanz zu bitten.« Er sah mich erwartungsvoll an.
Ich überlegte fieberhaft, ob ich diesen Mann mit den braunen Augen und dem lockigen braunen Haar, der mich so voller Hoffnung anschaute, an jenem Abend gesehen hatte.
»Vielleicht hilft dies«, sagte er und zog eine scharlachrote Rose unter seinem Cape hervor. »Mylady, es ist die Gleiche wie die, die ich Euch zu Eurem Gemach brachte, als Ihr krank im Bett lagt.«
Eine Möwe kreischte über dem Fluss, ein Kahnschiffer rammte laut fluchend gegen einen Steg, und die Erinnerung überrollte mich wie eine grausame Flutwelle. Dies war der junge Mann, der mir in der großen Halle von Tattershall Castle zugeprostet hatte. Doch war ich geblendet gewesen von Sir John Neville, als hätte ich zu lange in die Sonne gesehen.
4
S EPTEMBER 1456
Es war das Ende des Sommers.
In meiner winzigen Kammer legte ich die Handschrift von Chaucer beiseite, in der ich gelesen hatte, und stellte mich auf mein Bett, um durch das hohe Fenster zu blicken. Während ich das Kruzifix meiner Mutter befingerte, das ich an einer Kette um den Hals trug, beobachtete ich, wie der Regen die Schlossanlagen tränkte. Mein sechzehnter Geburtstag lag hinter mir. Größere Feierlichkeiten hatte es nicht gegeben. Die Königin hatte mir einen Silberteller mit kandierten Rosenblüten und Ingwerkuchen gesandt, umwickelt mit Silberband, und einige Damen, die vom Hofsänger begleitet worden waren, hatten mir in der großen Halle ein Ständchen gebracht. Danach verschwanden sie lachend. Die Geste war freundlich, ohne Frage, nur kannte ich die Damen nicht. Mit Wehmut dachte ich an meine Geburtstage früher, an meine Mutter, die mir eine Krone aus Rosenknospen aufgesetzt, mich liebevoll umarmt und im Kreis herumgewirbelt hatte, und an meinen Vater, der mich voller Zärtlichkeit angesehen und dazu gesungen hatte: »Ein Sträußlein, ein Sträußlein, für mein schönes kleines Fräulein …«
Ich zog den Umhang fester um die Schultern. Mit dem September hatte ein rauer Wind Einzug gehalten, der durch die Schlosshallen blies, in den Mauerritzen pfiff und Gobelins aufblähte. Aber es war nicht bloß das Wetter, das mich niedergeschlagen machte.
Obwohl ich viel gebetet und in den Wochen seit meiner Ankunft wenig mit anderen gesprochen hatte, erfuhr ich eine Menge über Staatsangelegenheiten. Und gewisse Probleme, die in der Abtei bedeutungslos erschienen waren, gewannen im Licht meiner Gefühle für Sir John Neville ein gänzlich neues Gewicht. Die Königin hasste Richard, den Duke of York, und wollte ihn um jeden Preis vernichten. Ihr Konflikt gründete auf Yorks Thronanspruch per Geburtsrecht, durch den sich die Königin bedroht sah; unterdes warf York der Königin und ihren Günstlingen Misswirtschaft vor. York konnte nichts gegen seine Geburt tun, und Marguerite war nicht gewillt, ihre Günstlinge aufzugeben. Alles schien so hoffnungslos …
Unter mir auf dem Rasen eilten Boten mit wichtigen Nachrichten hin und her. Ihre ernsten Mienen bedrückten mich noch mehr. Ich dachte an König Henry, den die Königin nach Coventry geschickt hatte, wo er fernab vom Druck des Hofes gesund gepflegt werden sollte. Als er noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen war, hatte Henry VI. als Friedensstifter zwischen der Königin und dem Duke of York fungiert. Seine Abwesenheit hatte indes jedes Mal zur Folge, dass es zwischen beiden zu erbitterten Duellen kam. Mithilfe des jungen Henry of Somerset und davor seines Vaters Edmund hatte die Königin zwei Mordintrigen gegen York gesponnen, die jedoch beide fehlgeschlagen waren. Ihr bislang größter Erfolg war die Verbannung Yorks nach Irland im Jahr 1450. Doch selbst der war weniger groß, als sie sich erhofft hatte: York konnte sein Exil in einen Triumph wandeln, indem er alte Streitigkeiten am irischen Hof beilegte und für Recht und Ordnung sorgte. Seine Herrschaft, die beste, die Irland je erlebt hatte, bewirkte, dass sich die Iren für die Sache Yorks erwärmten, also rief die Königin ihn zurück – und versuchte, ihn auf der Rückreise ermorden zu lassen.
In meinen Wochen bei Hofe lernte ich, welche Gefahren hier lauerten und von welch skrupellosen, brutalen
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