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Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Titel: Die Herrin der Rosen - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Worth
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vor Gefühlen. »Solange du bei mir bist, bin ich sicher, John. Danke, guter Bruder.« Er legte eine Hand auf Johns Schulter und ließ sie eine ganze Weile dort.
    Zwar hatte ich gewusst, welch große Liebe die Nevilles verband, doch nun sah ich ein weiteres Mal, wie stark das Band zwischen ihnen war.
    Noch mehr Freude folgte, denn als die Blätter begannen, sich rot und golden zu färben und der September in den Oktober überging, stellte ich fest, dass ich guter Hoffnung war.
    Unser Kind sollte im März 1458 geboren werden. In der Nacht und während der raren Momente bei Tage, die ich allein war, strich ich über die kleine Wölbung meines Bauches und flüsterte dem ungeborenen Kind alberne Nichtigkeiten zu. Um Johns willen hoffte ich, dass es ein Junge würde, denn Männer brauchten Söhne; ich hingegen wünschte mir sehnlichst ein so niedliches kleines Mädchen wie Warwicks Tochter Anne mit den wunderschönen blauvioletten Augen, die unser aller Herzen mit ihrem Charme und ihrer Sanftmut im Sturm erobert hatte.
    In der goldenen Dämmerung eines späten Oktobernachmittags wurde auf Middleham Alarm geschlagen, weil Anne nirgends zu finden war. Die letzte Stunde hatte sie niemand gesehen. Während die Burgbediensteten drinnen suchten, waren John und ich bei jenen, die auf dem Hügel nach ihr sehen wollten. Rufus lief vor uns her, erst in die eine Richtung, dann in die andere, bis er vor einem Blätterhaufen unter einer Fichte im Wald hinter der Burg stehen blieb und laut bellte. Wir fanden Anne zusammengekrümmt inmitten der Blätter: Sie hielt ihr Kaninchen im Arm und weinte bitterlich. Ich nahm ihr Tierchen, und John hob das Kind in seine starken Arme.
    »Aber, Kleines, warum so traurig? War es denn kein schöner Tag, und ist das Zwielicht nicht hübsch? Heute Abend haben wir Vollmond.«
    Die Kleine nickte, rieb sich die Augen, schniefte aber unter den Schluchzern.
    »Was hast du denn nur, meine Süße?«, fragte John sanft und ging vorsichtig mit ihr auf dem Arm den Hügel hinunter. Er liebte Kinder, ganz besonders Anne, und ich wusste, dass er unser eigenes ebenso ungeduldig erwartete wie ich.
    Schniefend verbarg Anne das Gesicht an Johns Schulter. Nach reichlich Zureden vertraute sie ihm schließlich den Grund für ihren Kummer an: »Ich bin schon vier, und ich kann immer noch nicht an den Mond reichen!«, sagte sie und streckte eine kleine Hand zum leuchtenden Silberkreis am Himmel.
    John sah zu mir, strich Anne übers Haar und drückte sie an sich. »Ach, kleine Anne, das ist fürwahr ein weit verbreitetes Problem. Ich kann dir allerdings versprechen, dass es besser wird, wenn du älter bist.«
    Zum Weihnachtsfest 1457 zog der Salisbury-Haushalt auf die Burg nach Middleham, deren Pracht dem Rang der Familie angemessen war. Eine breite Außentreppe aus cremeweißem Marmor führte hinauf zur großen Halle, die die Burg dominierte. Überall waren bunte Fenster, durch die das Licht in Regenbogenfarben in Gänge und Zimmer fiel. Zwischen zwei Engelsstatuen am Eingang hindurch folgte ich der Familie in die prächtigste Halle, die ich jemals gesehen hatte. Ehrfürchtig schaute ich mich um. Der Saal, der sich vor mir erstreckte, war von vergoldeten Steinsäulen unterteilt, in die Rosen, Kreuze, Greife und Kronen gemeißelt waren. Die Wände schmückten große Gobelins, bunte Wandgemälde und dunkle Vertäfelungen mit feinsten Schnitzereien. Der Boden war in einem Mosaik aus rosafarbenem, himmelblauem und honiggelbem Marmor und hier und da Halbedelsteinen ausgelegt. Das Erstaunlichste jedoch war die Decke, die man so bemalt hatte, dass der Betrachter glaubte, in ein hohes Gewölbe aufzusehen.
    Warwick selbst traf einen Tag später ein. Seine Brüder und sein Vater eilten ihm entgegen in den Burghof. Schulter an Schulter gingen die vier ins Ratszimmer des Earls. Was für eine eindrucksvolle Familie!, dachte ich, als ich sie durch eines der hohen Fenster beobachtete. Sie alle sind groß, gut aussehend und von beeindruckender Statur, sogar der Earl, der sich trotz seines Silberhaars und seiner siebenundfünfzig Jahre genauso aufrecht hält wie seine Söhne . Und zu meiner Beruhigung hatten sie ein Lächeln auf dem Gesicht.
    Abends beim Essen gab Warwick die Nachricht bekannt. »Wie sich zu unserer Zufriedenheit herausstellte, steckte unsere französische Königin wahrlich hinter den schändlichen Übergriffen und Bränden in der Stadt Sandwich. Die Empörung des Volkes zwang sie, ihren unfähigen Günstling Exeter aus der

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