Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
zu achten, und ging mit Ursula hinaus auf den Korridor.
»Es ist etwas Schreckliches geschehen«, flüsterte sie.
»John?«, fragte ich. Er war vor Tagen zur Burg seines Vaters in Sheriff Hutton geritten, um sich dort einiger Angelegenheiten anzunehmen.
»Nein, nein, es geht um die Königin. Yorks Bote brachte die Nachricht.«
Ich erschauderte. Nachrichten, die von durchreisenden Mönchen oder Hausierern kamen, konnte man gemeinhin abtun, handelte es sich doch oft nur um wilde Gerüchte. Kamen sie hingegen von einem Boten aus Yorks Diensten, war es etwas gänzlich anderes. Es blieb nur zu hoffen, dass Ursula die Nachricht missverstanden hatte.
Schnell lief ich zu den Gemächern der Countess, wo sie mit dem Earl am Erkerfenster stand. Er hielt einen Brief in der Hand, und meine Hoffnung, die Nachricht könnte doch gut sein, starb in dem Moment, in dem ich ihre Gesichter sah.
Der Earl wartete nicht, bis ich fragte, sondern sagte gleich: »Am achtundzwanzigsten August hat Pierre de Brézé den Hafen von Sandwich vom Meer aus angegriffen, die Häuser geplündert und die Stadt niedergebrannt.«
Ich erinnerte mich an Marguerites glühenden Verehrer, den galanten Franzosen, der mir bei meiner Audienz die Hand geküsst und mich mit Schmeicheleien überschüttet hatte. »Ich verstehe nicht«, hauchte ich verwirrt. War ein solch charmanter Mann fähig, derart furchtbare Taten zu begehen?
Als hätte der Earl meine Gedanken erraten, erklärte er: »Die Königin stiftete ihn dazu an. In Kent wächst die Unterstützung für York. Exeter, unser nobler Hüter der Meere, hatte Sandwich ungeschützt gelassen, zweifellos auf Befehl der Königin, und Brézé entkam so gut wie ungeschoren.«
»Kann es nicht ein Irrtum sein? England ist doch jetzt ihre Heimat. Ich glaube nicht, dass sie ihren eigenen Leuten …« Meine Stimme verlor sich.
»Ihre Leute sind französisch, nicht englisch.«
»Aber der König würde es niemals zulassen!«, rief ich ungläubig.
»Ich würde schwören, dass der König nicht eingeweiht war und von nichts weiß.« Der Earl knüllte den Brief in der Faust zusammen und drehte sich zum Fenster, wo er die Hände aufstützte und den Kopf neigte.
Mir wurde auf einmal flau, sodass ich auf einen Stuhl sank.
Woche um Woche brachten uns Durchreisende und Gäste Neuigkeiten, und ausnahmsweise wichen sie nicht voneinander ab: Ganz England brodelte vor Wut und Empörung über Brézés Angriff und Exeters Untätigkeit. Gegen Ende September reiste der Duke of York mit Johns Vater an den Hof, um Exeter zur Rede zu stellen. Bei seiner Rückkehr erfuhren wir aus erster Hand, wie ihr Treffen verlaufen war.
»Nachdem wir ihn daran erinnert hatten, dass er der Lord Admiral ist, stach Henry Holland, der Duke of Exeter, letzte Woche endlich in See, um Brézé zu suchen!«, sagte der Earl voller Abscheu. Mit auf dem Rücken verschränkten Händen schritt er im Sonnenzimmer auf und ab. »Er segelte bis La Rochelle, erreichte jedoch nichts. Allerdings gibt es auch Gutes zu berichten.« Er blieb stehen und drehte sich zu uns. »Wie euch bekannt ist, verklagten wir die Percys vor dem Schwurgericht von Yorkshire auf Entschädigung. Nun, das Urteil wurde soeben gefällt und uns die Summe von sechzehntausend und achthundert Mark zugesprochen!«
Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Es war eine gewaltige Summe.
»Und die Percy-Brüder sollen in Haft bleiben, bis sie bezahlt haben«, ergänzte John grinsend.
Also drohte John keine Gefahr mehr von dem widerlichen Percy, dem Lord Egremont. Maude klatschte vor Freude in die Hände und umarmte Thomas.
»Ist das der karge Dank, Mylady, für alles, was ich getan habe?«, fragte Thomas. Als sie ihn verwundert ansah, lachte er. »Ich war es, der Egremont und seinen Bruder festnahm – allein, wie ich hinzufügen darf. Vater und John hatten nichts damit zu tun, stimmt’s?«
»Nimm dir ruhig den ganzen Dank, Bruder«, antwortete John schmunzelnd. »Ich will nur Frieden, und den beschert mir das Wissen, dass diese beide Schurken eingekerkert bleiben, bis sie alt und grau sind, so Gott will.«
»Nein, die Wahrheit ist, dass Vater, ich und unsere Männer John Dank schulden«, sagte Thomas ernster. »Und nicht bloß für dieses eine Mal, sondern für zahlreiche Gelegenheiten. Er ist der beste Kommandeur, den es gibt, stimmt Ihr mir zu, Vater?«
»Ja, er macht sich gut«, bestätigte der Earl, dessen Augen vor Stolz funkelten.
Thomas wandte sich zu seinem Bruder; seine Stimme war heiser
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