Die Herrin des Labyrints
eine Gruppe selbstbewusster Vollweiber lauthals männliche Qualitäten kommentiert.
»Was für Mutproben?«, wollte Henry wissen.
»Lass dich überraschen!«
»Wenn das der Preis dafür ist, dass du wenigstens einen Teil deines Lebens in die Hand genommen hast, dann wird es das wohl wert sein. Nächster Punkt, Amanda. Warum zögerst du, das Erbe anzutreten?«
»Gehen wir in den Garten und schauen dem Sonnenuntergang zu, Henry. Dann versuche ich, das zu erklären.«
Wir nahmen unsere Gläser und setzten uns auf die Terrasse. Es war ein verhältnismäßig schwüler Juniabend, und irgendwo im Westen sammelten sich schon einige schwarze Wolken. Vielleicht würde es ein Gewitter geben, aber im Augenblick warf noch die tiefstehende Sonne lange Schatten, und die ersten Rosenblüten dufteten intensiv in der feuchtwarmen Luft. Es war eine seltsame Stimmung, eine lockende Süße gepaart mit einer kaum zu fassenden Spannung in der Atmosphäre, auch hier ein Gefühl von Erwartung und Ruhelosigkeit.
»Damon hat mich neulich intensiv nach Gitas Familie ausgefragt, vor allem nach ihrem Sohn Nandi. Dabei ist mir eigentlich erstmals zu Bewusstsein gekommen, dass alle diese Leute eine seit Jahrzehnten bestehende feste Gemeinschaft bilden. Seither habe ich das dumme Gefühl, ich sei ein Eindringling und habe eigentlich kein Recht darauf, ihm das wegzunehmen, was er sicher glaubte für sich beanspruchen zu können. Mag ja sein, dass das eine blöde Einstellung ist, aber ich habe sie nun mal.«
»Ich würde sagen, das ist verständlich. Es ehrt dich auch. Aber Gita hat zwei Kinder gehabt, und sie hat ja wohl gerecht zwischen beiden aufgeteilt.«
»Sicher, so sieht es aus. Aber ich werde – entschuldige, dass ich so irrational argumentiere – das Gefühl nicht los, ich könne mich und vor allem andere in eine wahnsinnige Gefahr bringen,wenn ich das Erbe annehme. Das macht mich dermaßen zögerlich.«
»Wem sollten welche Gefahren drohen?«
»Patrick, dir … Ich weiß nicht. Verdammt, wahrscheinlich liegt es am Klima heute, dass ich so dummes Zeug zusammenphantasiere.«
»Mh. Schon möglich. Aber es gibt Vorahnungen, und so ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, was du sagst. Immerhin ist dieser Unfall ja noch nicht aufgeklärt, oder?«
»Nein, es bleibt bei Fahrerflucht.«
»Andererseits – du hast ein Anrecht auf dein Erbe, und je schneller du die rechtlichen Schritte einleitest, desto weniger Chancen bestehen, dir irgendwelche Hindernisse in den Weg zu legen.«
Es war inzwischen dunkel geworden, und die Wolkenwand hatte sich weiter vorangeschoben. Ein flackerndes Wetterleuchten zuckte über den Himmel, und ich dachte an Halimas Worte, dass eine der dunklen Schwestern noch auf ihren Einsatz wartete. Eine der Zerstörerinnen.
Ein Schauder überflog mich, und es brach aus mir heraus, fast wie ein Schrei: »Ich habe Angst, Henry.«
»Wovor?«
»Ich weiß es nicht genau. Das ist ja das Schlimme daran. Es ist eine völlig irrationale Angst.«
»Angst darf man durchaus haben, Amanda. Versuch nur, sie etwas klarer zu definieren. Angst vor dem Tod, vor Krankheit, vor Demütigung, vor Verlusten …«
Ich fühlte in mich hinein, und ich fand den Kristallisationspunkt meiner Angst.
»Ich habe Angst vor der schwarzen Gestalt, die mir alles entreißt. Ich habe Angst davor, das zu verlieren, was ich bisher gefunden habe.«
»Was hast du gefunden?«
»Mich, dich, eine Hoffnung …«
»Dich und dein Wissen kannst du nicht mehr verlieren. Ich werde mir jede Mühe geben, nicht verlorenzugehen, und wasdeine Hoffnung anbelangt, Amanda … Also, ich bin kein Freund von Hoffnungen. Die haben so etwas Unbestimmtes, da wartet man immer auf eine Erfüllung durch einen anderen.«
Das war eine Perspektive, die mir zu denken gab. Wartete ich darauf, dass mir jemand meine Hoffnungen erfüllte? In einem Anfall von Ehrlichkeit gestand ich mir ein, dass gerade bei dieser Hoffnung passives Verhalten nicht sonderlich zuträglich sein würde. Aber das hatte mit dem Erbe nichts zu tun.
Ein langgezogenes Grollen durchbebte die Nacht, und eine heftige Böe ließ die Blätter aufrauschen.
»Wir gehen besser ins Haus, mir scheint, es wird gleich sehr ungemütlich.«
Gemeinsam räumten wir die Polster von den Stühlen, und als wir im Zimmer waren, schlug die Terrassentür mit einem Knall hinter uns zu.
»Okay, ich muss damit fertig werden, und Flucht oder Verstecken sind keine Lösung. Abgesehen davon mag Patrick keine Feiglinge.«
»Also,
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