Die Herrin des Labyrints
Gesichtsausdruck richtig deutete, konnte die Ware nicht erste Qualität sein und schien seine Erwartungen nur mäßig zu erfüllen. Halima und ich brachen in haltloses Kichern aus, und Elsie drehte sich empört um.
»Wer ist dieser Mann?«
»Mein Vater«, sagte ich trocken und nickte Henry zu. »Du kannst die Pose fallen lassen, Henry, die überzeugt nicht!«
»Pose, was für eine Pose?«, fragte er und ließ die Brille über die Nase nach unten gleiten.
Margit klapperte noch einmal mit ihren langbewimperten Augen und fragte dann: »Sollen wir ihm sagen, dass er bestanden hat?«
»Hat er! Und ihr solltet euch an derartige Scherzchen auch mal bei euren Auftritten erinnern. Da gehört das hin, und nicht hierhin, wenn ich Besuch bekomme. Hallo, Henry. Wie mutig von Ihnen, sich in die Höhle der Löwinnen zu trauen.«
Henry hatte auch ganz passable schauspielerische Fähigkeiten, verwandelte sich vom unzufriedenen Potentaten in einen gewandten Mann von Welt und küsste Halima mit nur ganz leicht übertriebener Grandezza die Hand. Sie sah überrascht aus, nickte dann aber hoheitsvoll und bat ihn, noch eine Weile Platz zu nehmen.
»Und jetzt wieder ein bisschen Disziplin, meine Lieben!« Wir tanzten unsere neue Choreographie, die für mich zwar noch einige Stolperfallen hatte, aber im Prinzip schon ganz gut klappte. Dann erlaubte mir Halima, den Freitanz mitzumachen und ging zu Henry hinaus.
Das Musikstück war mir bekannt, und ich hielt mich an traditionelle Schrittfolgen, ohne mich dem Rhythmus hemmungslos hinzugeben. Es funktionierte.
»Henry hat uns beide zum Essen eingeladen, Amanda!«
»Das hatte ich gehofft, bislang hat er sich nämlich durch meinen Kühlschrank durchgefressen.«
Eine knappe Stunde später saßen wir bei unserer Vorspeise, und ich freute mich darüber, dass Henry und Halima sich so gut verstanden, dass sie die Formalitäten fallengelassen hatten. Aber wenn ich auch von den Ideen zu der Lösung des Rätsels und meinen Träumen berichtete, so war die Stimmung doch nicht so, dass sie zu fruchtbaren Spekulationen verleitete. Mir schien Halima an diesem Abend eigenartig befangen, und ich konnte mir nicht erklären, warum.
»Ich werde darüber nachdenken, Amanda. Im Augenblick fällt mir dazu auch nichts ein.«
»Gut, lass dir Zeit. Aber eine Frage habe ich doch noch an euch beide. Ihr kanntet ja Josiane. War sie auch in irgendeiner Form an Tanz interessiert?«
Halima antwortete als Erste: »Interessiert schon. Ich sagte dir ja, sie sah mir gerne zu, wenn ich für sie tanzte. Sie hat auch hin und wieder selbst ein paar Schritte gemacht, aber hatte überhaupt keinen Ehrgeiz in der Richtung.«
»Ja«, sagte auch Henry. »Wir haben natürlich auch miteinander getanzt, allerdings – nun ja, begnadet war sie nicht auf dem Gebiet. Musikalisch war sie sicher, aber das hat sie nicht davon abgehalten, mir kräftig die Zehen zu massieren.«
»Also weder Talent noch Ehrgeiz. Seltsam.«
»Frag doch Nandi mal, ob er das Talent geerbt hat«, schlug Halima vor, aber der Gedanke an einen anmutig schwebenden Nandi war so absurd, dass ich nur grinsen konnte.
»Hat Gita etwas dazu erwähnt?«
»Nicht direkt. Sie hat sich gerne klassisches Ballett angesehen, aber auch nicht mehr als andere Aufführungen. Sie liebte das Theater. Aber ich könnte ihre alte Freundin danach fragen.«
»Gut, ich meine, das ist eine Spur, die man verfolgen kann,Amanda, aber so, wie du die beiden Träume schilderst, waren es eigentlich keine besonders kunstvollen Tänze. Was mir jedoch viel interessanter erscheint, ist, dass du diese Träume überhaupt gehabt hast. Es sieht so aus, als ob da eine ganz bestimmte Erinnerung in dir schlummert, die im Schlaf an die Oberfläche dringt. Wäre das nicht mal einen Versuch wert, weiter nachzuforschen?«
Henry sah Halima überrascht an.
»Wie meinst du das? Willst du Amanda hypnotisieren oder so etwas?«
»Eher ›so etwas‹. Was man träumt, vergisst man so leicht, aber es gibt andere Methoden, um an verborgenes Wissen zu kommen.«
Ich dachte an Damons Rat, Halima zu fragen, was die Vergangenheit der Münze aufgeprägt habe. Deshalb wollte ich wissen: »Eine Erinnerung in mir, oder hältst du es für möglich, dass das Wissen auch in der Münze ist?«
»Da gehen die Meinungen der Gelehrten auseinander.« Sie lächelte. »Ich persönlich vermute, dass es eine gegenseitige Angelegenheit ist. Nicht jeder kann die Muster entziffern, deshalb wird sie für den einen ihre Geheimnisse
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